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KINDERFRAGEN UND SPRACHENTWICKLUNG IM VORSCHULALTER

 
Texte:  Dr. phil. Hartmut Schönherr
Bilder: M.A. Svenja Rehse (Künstlerin, Dozentin in der Erzieher*innen-Ausbildung)
Svenja Rehse, Mond am Tag


"Wauwau wo is?" (1 Jahr)
"Wie macht ein Baby?" (2 Jahre)
"Wer mag alles Regenwürmer?" (3 Jahre)
"Haben Bäume Muskeln?" (4 Jahre)
"Kann die Mama ein Affenbaby bekommen?" (5 Jahre)
"Ist es echt, wenn wir leben?" (6 Jahre)

 
Die Anker-Links führen Sie zu weiteren Beispielen, Antworten und Erläuterungen auf dieser Seite unten.

Was Sie erwartet

Kinder müssen fragen, um ihre Intelligenz, ihre soziale Kompetenz und ihr Verständnis von der Welt zu entwickeln. Kinderfragen sind ein wichtiger Antrieb in der Sprachentwicklung und in der allgemeinen kognitiven und seelischen Entwicklung. Und die meisten Kinder fragen viel und gern. Allerdings gibt es auch Kinder, die sich mit Fragen zurückhalten. Das kann individueller Charakter sein, aber auch eine Anpassung an Reaktionen von Erwachsenen auf ihre Fragen. Ignorieren Sie die Fragen des Kindes nicht, halten Sie ihm aber auch keinen langen Vortrag. Achten Sie darauf, was das Kind eigentlich erfahren will mit seiner Frage. Auch, indem Sie zurückfragen. Und indem sie sich für seine Antworten, seine Vermutungen interessieren.

Kinderfragen sind mal klug, mal amüsant, mal irritierend, mal lustig - aber nie lächerlich! Und sie können uns gescheiter machen: Da hat das Kind genau hingeschaut und etwas bemerkt, was Erwachsene zu Unrecht nicht (mehr) beachten. Oder es hat eine interessante Theorie über einen Sachverhalt entwickelt, die es zu seiner Frage führt. Das erfahren wir aber erst, wenn wir uns auf seine Frage einlassen.

Zum Erwerb des kindlichen Weltwissens gehört auch, sich selbst an Antworten zu versuchen. Daher ist von den Erwachsenen gefordert: Geduld beim Zuhören, ohne gleich "besser zu wissen". Und keine Sorge bei "Fehlurteilen" des Kindes. Kinder sind ganz ausgezeichnet in der Praxis dessen, was Konrad Adenauer einmal so formulierte: "Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern, nichts hindert mich, weiser zu werden."

Der Satz des Sokrates, "Ich weiß, dass ich nichts weiß" ist eine gute Anleitung für Erwachsene, sich gemeinsam mit Kindern auf den Weg zu machen, die Welt neu zu entdecken. Allerdings erwartet das Kind beim Erwachsenen auch eine gewisse Faktenfestigkeit. Vor einem Löwenzahn sollte man sich nicht mit Sokrates herausreden.

*

Die nachfolgende Sammlung umfasst die Fragen eines Kindes im Vorschulalter, das hier "Klara" genannt wird. Hinter der Frage ist jeweils das zugehörige Alter angegeben. Die Zeichen "-" und "+" bedeuten, dass das Kind am Anfang (-) bzw. am Ende (+) des genannten Alters stand. Wichtiger als eine exakte zeitliche Einordnung ist mir allerdings der Entwicklungs- und Sachkontext, auf den ich in den Kommentaren eingehe. Denn kindliche Entwicklung verläuft nicht nach starren zeitlichen Schemata, sondern - im Rahmen der körperlichen Entwicklung - nach funktionalen Beziehungen. Es gibt erhebliche Unterschiede in der Sprachentwicklung verschiedener Kinder, und der Spracherwerb verläuft nicht schlicht linear, sondern in Schüben, mit Verzögerungen, mit Vorgriffen und Rückgriffen, auch mit - völlig normalen - vermeintlichen Rückschritten.

Es geht gerade im Umgang mit Kinderfragen darum, jedem Kind seinen eigenen Entwicklungsweg zu ermöglichen und es auf diesem Weg zu fördern! Dabei möchten ich mit meinen Erörterungen zu den Kinderfragen helfen. Sie sollen Hinweise und Verständnishilfen sein, Anregungen zum besseren Verständnis der Kinderfragen geben. Es ist wenig hilfreich, dogmatisch festzulegen, was wann "gekonnt" werden muss. Ich möchte Wege zeigen, wie das Kind zu seinem Können kommt, nicht, wann es wo sein sollte. Berücksichtigt wird allerdings von mir, was sinnvoll in den letzten Vorschuljahren uns Hinweise auf die "Schulreife" gibt.

Lektüreempfehlung: Salman Ansari, Rettet die Neugier! S. Fischer 2013


Fragetypen, Frageinhalte - 99 Beispiele von Kinderfragen im Alter von 0 bis 6 Jahre


Svenja Rehse: Gestenfragen, 2018









Gestenfragen

??? (0+/1-)

Ein fragender Gesichtsausdruck, Suchbewegungen, Wedeln mit Gegenständen - das sind gestische Mittel des Kindes, mit denen es schon vor dem Spracherwerb versucht, Fragen zu artikulieren.

Ich erinnere mich an folgende Situation, als die Mutter Klaras bei der Arbeit war: Das Kind krabbelte wiederholt zur Tür und schaute mich fragend an. Die Frage dürfte gewesen sein "Wo ist die Mama?" oder "Kommt die Mama?".

Klara war dann sehr zufrieden mit einer "Antwort", in der häufig und versichernd der Ausdruck "Mama" vorkam.

Eine andere Frage in dieser frühen Phase, die klar identifizierbar ist, lautet "Wie funktioniert das?" - wobei die Aufforderung impliziert ist: "Zeig mir, wie das funktioniert": Ein Gegenstand wird angeschaut, daran herumgespielt, er wird hochgehalten, dem Erwachsenen entgegengehalten.

Häufig ist um den ersten Geburtstag herum auch eine Geste mit der impliziten Frage: "Möchtest du davon?" Das Kind hält dem Erwachsenen etwas entgegen, wovon es selbst gerade isst. Wobei hier auch ganz andere Deutungen möglich sind, etwa die bloße Wiederholung einer Erwachsenengeste, das Spiegeln des Gefüttert-Werdens. 
Sind die ersten Fragen Gesten? Aktuelle Untersuchungen an der University of California in Los Angeles zum kommunikativen Verhalten von Affenkindern und menschlichen Säuglingen legen dies nahe, insofern sie den Ursprung der Sprache aus Gesten belegen.

Wir alle kennen auch die Zeigegesten von Säuglingen, mit denen sie ihr Interesse an einem Gegenstand bekunden und oft auch ein Wollen. "Das da will ich" kann eine Bedeutung dieser Gesten sein. Als Frage verstanden könnten sie bedeuten: "Darf ich das haben?". Hier deutet sich schon ein Ich-Bezug an, ein erstes Selbst-Verständnis des Kindes im triadischen Verhältnis zu Gegenstand und anderer Person.

Wir dürfen also davon ausgehen, dass vor dem ersten Wort das Kind bereits Fragen zu artikulieren versucht, sobald es in der Lage ist, Fragen beim Erwachsenen als solche zu erkennen. Dies geschieht um den ersten Geburtstag herum.


Svenja Rehse:
              Essen?

Einwortfragen. Nahrungsmittel

ESSEN? (1)

Im konkreten Fall ging es um eine Beere an einem Strauch. Klara zeigte darauf und fragte "Essen?".

Die Frage "Essen?" hat sie gestellt im Sinne von "Kann man das essen?", "Darf ich das essen?" Erkennbar ist eine Frage in dieser Phase der Sprachentwicklung nur an der Fragebetonung. Was sie bedeutet, kann im Kontext erschlossen werden.

Kindliches Sprechen im engeren Sinne beginnt mit einzelnen Wörtern, bei den meisten Kindern auf Dinge oder Personen bezogen, "mama", "ball" etwa. Bei manchen Kindern dominieren jedoch Handlungen: "dada", "bielen" (spielen). Klar zu trennen sind die beiden Bereiche zu Beginn allerdings nicht, "hamham" etwa kann sich auf die Aktion, aber auch auf konkrete Esswaren beziehen. Im allgemeinen werden diese Wörter als "Einwortsätze" bezeichnet, da das Kind mit diesen Wörtern einen komplexen Sachverhalt, in der Regel ein Bedürfnis, artikulieren möchte.

Das Kind am Beginn des Spracherwerbs fragt wenig, es will etwas ("Ball", "dada") - oder auch nicht ("nein!") - und es trifft Feststellungen ("kaputt"). Die ersten Einwortfragen sind entsprechend ganz pragmatisch orientiert und eng an das Wollen angelehnt. In der Regel geht es um die Befriedigung von Bedürfnissen, "Dada?" kann auf die Lust verweisen, nach draußen zu gehen, "Oma?" darauf verweisen, dass das Kind die Oma sehen möchte.

Die Frage "Essen?" richtet sich hier jedoch deutlich bereits auf Wissenserwerb, verlangt nicht nur nach etwas zu essen - darauf richtet sich eher die Frage "Hamham?" -, sondern möchte etwas erfahren, lernen. Nämlich konkret, ob diese speziellen Beeren essbar sind bzw. ob es diese Beeren essen darf.

Das Kind hatte schon früh verstanden, dass bestimmte Beeren essbar sind, andere nicht. Ob dahinter instinktartig verankerte Wissensbestände stehen oder ganz unspektakulär die wiederholten Hinweise von Erwachsenen, zunächst bestimmte Gegenstände, später bestimmte Beeren (zum Beispiel auf dem Spielplatz, aus der Grünanlage) nicht in den Mund zu nehmen, ist schwer zu beantworten. Ich neige zu letzterem, wundere mich bisweilen aber auch, wenn Kinder (zugegeben solche, die "naturnah" aufwachsen) im Misstrauen gegen bestimmte Beeren recht treffsicher sind.

Mit knapp zwei Jahren äußerte Klara einmal ein klagendes "Eabean!?". Sie wollte Erdbeeren, aber - das machte der Kontext klar - sie wollte diese selber pflücken in meinem Garten. Die implizite Frage lautete: "Wann gehen wir wieder einmal Erdbeeren pflücken?" Zweiwortsätze beherrschte sie da schon, aber ihre Intention konnte sie auch mit dieser Einwortfrage umsetzen. Ende des zweiten Lebensjahres lautet eine häufige Frage dann "Kann man essen?".
Das Konzept der "Einwortsätze" begründeten die Entwicklungspsychologen William Stern und seine Ehefrau Clara Stern 1907 in "Die Kindersprache".


Svenja
                  Rehse: Wauwau wo is?









Zwei-/Dreiwortfragen. Wo-Fragen. Wahrnehmungswelt

WAUWAU WOIS? (1+)

Wir standen mit dem Auto an einer Ampel vor dem Zebrastreifen, ein Mann kam mit einem Hund, den Klara sofort registrierte: "Wauwau!" Als der Mann vor unserem Auto vorbeigeht, verschwindet der Hund aus ihrem Gesichtsfeld, da kommt die Frage "Wauwau wois?".

Dass der Hund von unserem Auto verdeckt wird für sie, begreift Klara nicht. Die Antwort sollte auf das Verdecktsein eingehen.

Erinnern wir uns: Das ist auch das Alter, in welchem Kinder sich die Augen zuhalten und meinen, wir könnten sie nicht mehr sehen. Verständlich, dass in diesem Alter die Frage "wo?" von so zentraler Bedeutung wird. Verständlich auch, dass das, was nicht mehr sichtbar ist, als nicht mehr anwesend eingeordnet wird.

Die Frage steht für den Beginn der Zwei-/Dreiwortsätze, in der Forschung dem Alter 15-18 Monate zugeordnet. Waren Fragen bislang - als einzelne Worte - nur an der Betonung erkennbar, kommen jetzt auch spezifische Fragewörter ins Spiel. Wobei das Fragepronomen "Wo" eine prominente Rolle spielt. "Ball wo is?" wäre eine analoge Frage aus dem Pool dieses Typus. Ähnlich auch die Frage "Wo is Auto?" ein paar Wochen später - wir waren gerade ein paar Meter vom Auto entfernt, es ging wohl auch darum, das Fragewort zu üben.

Zweiwortsätze entwickelt das Kind gegen Ende des zweiten Lebensjahres. Dabei wird ein nominaler Ausdruck mit einem Verbkomplex verbunden. Wobei "Verbkomplex" großzügig zu verstehen ist, da das Verb häufig nur implizit anwesend ist. Auch die Frage "Wauwau wo is?" kann so als Zweiwortsatz verstanden werden. "Wois", "dais" und ähnliche Ausdrücke sind noch nicht klar von Ausdrücken wie "da" oder der bloßen Zeigegeste zu unterscheiden. Der Übergang von den Zwei- zu den Dreiwortsätzen ist fließend, und die Frage "Wo is Auto?" einige Wochen später ist schon erkennbar eine Dreiwortfrage.

Interessant ist die Funktion des Fragewortes "Wo", das hier offensichtlich noch nicht klar semantisch von der Flexionsform "ist" des Verbums getrennt erscheint. Zweifellos trägt das Bedürfnis des Kindes, Fragen zu stellen, erheblich zur Entwicklung von Zweiwortsätzen bei. "Wois" wird im dritten Lebensjahr dann zügig zu "Wo ist".
 


Svenja Rehse: Was das da, 2018







Dreiwortfragen. Was-Fragen. Informationen

WAS DAS DA? (2-)

Eine Standardfrage der Zeit kurz nach dem zweiten Geburtstag. Damit fragte sie zunächst nach Wörtern für Dinge. Sehr zügig dann aber auch nach weitergehenden Informationen, Erklärungen - etwa beim Anschauen von Bilderbüchern oder in Galerien vor einzelnen Bildern.

Antworten sollten nicht zu ausführlich ausfallen und der Erwachsene sich stets daran erinnern, dass es noch ganz einfache Sachverhalte sind, die das Kind interessieren. Ich erinnere eine Situation, da fragte sie nach einer Grabgabel. Den Namen fand sie lustig. Die Erklärung, dass man damit Erde umgraben kann im Garten, begrüßte sie interessiert mit "Spielplatz auch!"

Die formal noch nicht korrekte Frage zeigt ein Wissen davon, dass sowohl mit Fragewörtern, als auch mit Wortstellungen Fragen formuliert werden können. Sie erprobt in dieser Zeit Varianten, z.B.
"Das da was?", "Das da das" und "Was das das?". Interessanterweise vermeidet sie dabei zunächst das Verb, obgleich sie schon Ende des zweiten Lebensjahres auf Fragen nach Dingen, etwa "Wo ist das Bilderbuch?" mit "Da is" antworten konnte oder mit einem Jahr fragte "Wauwau wois?". Die Abstraktheit des Verbums "sein" macht offensichtlich noch Probleme und "da ist" hat noch Züge eines einheitlichen Ausdrucks mit der Bedeutung "da", ohne Differenzierung in Verbteil und Lokalbezug.

Der Satz "Was das da?" zeigt bereits einen Dreiwortsatz, der in nuce ein viertes Wort enthält, nämlich das "ist", also schon den Weg zum vollständigen Mehrwortsatz weist. Allerdings begnügen sich viele Kinder im dritten Lebensjahr noch weitgehend mit den Zwei- und Dreiwortsätzen, auch wenn sie gegen Ende dieses Lebensjahres oft schon perfekte Mehrwortsätze formulieren können. Dabei ist zu unterscheiden zwischen vollständigen Dreiwortsätzen wie etwa "Wer war das?" und unvollständigen wie in der vorliegenden Frage "Was das da?".

Svenja
                  Rehse: Wer war das?












Mehrwortsatz. Wer-Fragen. Telefon

WER WAR DAS? (2-)

Das Telefon hatte geklingelt. Wir sind nicht rangegangen, da wir gerade beim Essen waren und das Klingen gleich wieder aufhörte. Da stellte das Kind die Frage "Wer war das?".

Ich erklärte, dass ich das nicht wissen könne, da ich ja nicht mit dem Anrufer gesprochen habe. Sie: "Nochmal anrufen!" Ich stimme zu und versichere, dass derjenige, der angerufen habe, bestimmt später nochmal anrufen wird.

Die Frage sollte in diesem Alter noch öfter kommen, vor allem beim Klingeln des Telefons (aber auch z.B. bei Autohupen oder wenn jemand auf der Straße hörbar hustet, sogar bei Geräuschen, die sie selbst verursacht hat!). Primär wohl eine von Erwachsenen abgehörte Frage zum Kontext Telefonieren. Wobei die Erwachsenen erst fragen, nachdem ein Telefongespräch geführt wurde - aber Kinder üben ja noch. Wie das Telefonieren funktioniert, versteht das Kind auch auf der sozialen Ebene noch nicht. Es geht offensichtlich davon aus, der Erwachsene wisse immer, wer da anruft, auch vor Gesprächsbeginn. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es dabei Vereinbarungen unterstellt ("Ich rufe dich um X Uhr an").

Es ist verblüffend, wie rasch das Kind die soziale Funktion des Telefonierens erfasst hatte und selbst "mitspielen" wollte durch eine solche Frage. Das Kind ist auch bald selbst zum Telefon gerannt, wenn es geklingelt hat, auch wenn es zunächst nur stumm in den Hörer lauschte. Das blieb so auch noch mit drei Jahren, als die Sprachfertigkeiten weiter entwickelt waren.

Hilfreich zur Entwicklung des Telefonverständnisses ist es, dem Kind eine konkrete Telefonsituation auch mit dem Gegenüber erlebbar zu machen - was dank Handy heute jederzeit möglich ist, womit das KInd zugleich den sieht, mit dem es am Telefon spricht. Dazu sollte allerdings abgewartet werden bis zu einem aktiven Interesse des Kindes am Telefonieren. Ich persönlich bin darüber hinaus der Auffassung, man sollte kleine Kinder von Handys und schnurlosen Festnetztelefonen weitgehend fern halten und ggf. auf besonders strahlungsarme Geräte zurückgreifen.
Ich nenne dieses Beispiel "Mehrwortsatz" im Unterschied zum Zweiwortsatz oder dem unechten Dreiwortsatz, in welchem zwei Wörter semantisch indifferent zu einem Ausdruck verschmolzen sind. Man könnte auch von einem "echten Dreiwortsatz" sprechen. Allerdings scheint er hier reproduziert zu sein aus der Erwachsenensprache.




Svenja Rehse: Bist du weggegangen, 2018








Satzfragen. Indirekte Fragen. Hilfsverbkonstruktion

BIST DU WEGGEGANGEN? (2)

Ein Ausflug ins Grüne. Ich war ein paar Meter von der Gruppe weggegangen, das Kind kam mir nach und stellte diese auf den ersten Blick etwas seltsame Frage.

Natürlich wäre "Ja, das siehst du doch!" hier eine unangemessene Antwort. Meine Antwort war "Ja, ich wollte mal schauen, ob es hier Brombeeren gibt." Es blieb dann bei mir, plauderte und stellte Fragen zu den Pflanzen.

Das Kind übt noch, korrekt zu fragen, auch sind Wortbedeutungen teilweise noch sehr unsicher, vor allem im Bereich der Verben, die semantisch weit komplexer sind als Nomen. Vielleicht erprobte es die Bedeutung von "weggehen". Vielleicht aber wollte es nur wissen, warum ich weggegangen bin. Oder es wollte gerne mitgehen, plaudern. Eine starke soziale, kommunikative Komponente war gleichfalls zu spüren, als wolle es die Gruppe zusammenhalten und/oder teilhaben am gerade ablaufenden Spiel des "Small talking".

Am Besten geben Erwachsene auf solche Fragen eine Antwort, die freundlich verschiedene Angebote macht. Zunächst natürlich eine Bestätigung, als Rückmeldung, dass und wie die Frage korrekt war und verständlich. Und dann noch eine kleine Erläuterung zum Weggehen, "Ich wollte mich ein bisschen bewegen" oder auch ein Angebot, "Ich wollte mal nach dem Baum da drüben schauen, kommst du mit?". So kann auch der Hintergrund der Frage eventuell mit dem Kind gemeinsam erschlossen werden.

Sprachlich interessant ist hier die Formulierung einer Frage durch die Wortstellung. Nach den Fragen mit Fragewörtern wie "Wo", "Was" und "Wer" kommt es nun schon im dritten Lebensjahr, auf der Grundlage von echten Dreiwortsätzen, zu einer Satzfrage. Allerdings klang die Frage noch "nachahmend", in der Struktur von Erwachsenen übernommen, instabil, nicht wirklich verstanden.


Die Hilfsverbkonstruktion wird in diesem Alter natürlich noch nicht beherrscht. Und der souveräne Einsatz von Satzfragen, ohne Fragewort, kommt auch erst später, bei diesem Kind im fünften Lebensjahr - auch wenn vorher immer wieder einzelne Satzfragen auftauchen.

Svenja Rehse: Vogel macht nicht 'miau', nein
                  - 2018









Konstatierende Fragen. Zweifel. Tiersprache

VOGEL MACHT NICHT MIAU, NEIN? (2)

Die Frage kam an einem Tag mit vielen Naturerfahrungen, sie probierte z.B. den Geschmack von aufgeschnittenen Kastanien und Eicheln aus. Auf dem Weg zum Zoo sahen wir einen Vogel auf dem Bürgersteig hüpfen und picken. Sie schaut ihm aufmerksam zu und fragt dann "Vogel macht nicht 'miau', nein?".

Es entwickelt sich ein Gespräch über Tiersprache, Tierlaute.

Sie befand sich gerade in einer Phase der enormen Ausdehnung ihres Wortschatzes, verbunden damit, dass ihr immer wieder bereits benutzte Worte entfielen, sie bekannte Bedeutungen verschob. Ein Haargummi wurde z.B. am gleichen Tag zu "Zopf". Und so erstaunt es nicht, dass ihr auch die "Tiersprachen" ungewiss wurden. Wer macht nun eigentlich "miau" bzw. wie macht ein Vogel?

Verstärkt wurde die Unsicherheit vielleicht auch dadurch, dass der Vogel nicht flog, sondern wie eine Katze sich am Boden herumtrieb. Zudem werden in vielen Bilderbüchern und Geschichten Vögel und Katzen eng korreliert, etwa in ihrem geliebten "Peter und der Wolf".

Äußerst interessant ist auch, dass sie gerade in einer Phase solcher "Wortunsicherheiten" eine derart komplex gebaute Fragestellung vorträgt, mit rhetorischer Selbst-Antwort! Es ist gerade die Entwicklung sprachlicher Komplexität, die mit bedingt, dass sie bereits Bekanntes wieder "vergisst" bzw. unsicher darin wird.



Svenja Rehse: Willst du auch, 2018








Ellipse. Essen. Soziale Kontrolle. Kommunion

WILL(ST) DU (AUCH)? (2)

Klara aß Trauben frisch vom Weinberg. Sie hatte einen Korb mit mehreren Trauben ("Henkeln") vor sich und wählte zielsicher die größte aus und beschloss pausbäckig "alle aufessen!". Dennoch hielt sie mir dann nach den ersten paar Beeren den Henkel hin und fragte, kauend, "WILL(ST) DU?" mit einem geschnodderten "AUCH" dahinter.

Ich verneinte, aber da hatte sie den Henkel ohnedies schon wieder an sich genommen. Die Frage war eher eine Form der Kontaktaufnahme, sie wollte zeigen, was sie da hat, so schien es mir.

Es geschieht häufig in diesem Alter (und oft auch schon davor), dass die Kinder etwas von ihrem Essen anbieten, dem Erwachsenen entgegenstrecken oder auch direkt zum Mund führen. Meist wird das Angebotene jedoch so rasch wieder zurückgezogen, wie es hingehalten wird. Die Bedeutung dieses Aktes habe ich lange nicht verstanden, bis ich einmal sah, wie Klara ihre Puppe "fütterte" und dabei das Essen zwischen ihrem eigenen Mund und dem der Puppe hin und her bewegte.

Hier würde ich in der Tat etwas von magischen Vorstellungen wirksam sehen im Sinne einer noch unklaren Subjekt-Subjekt- bzw. Subjekt-Objekt-Beziehung. Eine Art von Kommunion, gemeinsamem Mahl. Wobei sie mich einbezieht, indem sie das Essen mir kurz reicht/zeigt - um dann aber selbst zu essen, jedoch möglicherweise im Einverständnis, der andere esse mit.

Sicherlich ist auch die Erfahrung mit dem eigenen Gefüttertwerden hier mit beteiligt. Viele Erwachsene nehmen dabei ja gelegentlich einen Löffel für das Baby erst selbst in den Mund, um die Temperatur zu prüfen, die Portion mundgerechter zu machen, die Esslust des Babys zu stimulieren, die Mundflora zu übertragen oder noch aus anderen Gründen.

Sprachlich ist die Frage interessant durch ihre, wenngleich nur geschnodderte, Verberweiterung mit dem Modaladverb "auch". Es bedeutet einen gewaltigen Schritt in der Entwicklung des Kleinkindes, wenn es beginnt, eigenschöpferisch, spontan initiativ, Modalwörter einzusetzen. Zu erwarten ist dies bei den Modalwörtern im engeren Sinne wie "vielleicht", "wahrscheinlich" etc. erst um den 3. Geburtstag.

Svenja
                  Rehse: Wo schläft der Mann?











Mehrwortfragen. Empathie. Orte. Soziale Verhältnisse

WO SCHLÄFT DER MANN? (2+)

Klara sieht einen Bettler. Sie will wissen, warum der da mit vielen Plastiktüten auf dem Boden sitzt und einen Becher mit Münzen vor sich hat. Nach einer Erklärung von mir, dass er arm sei und keine Wohnung habe, will sie wissen "Wo schläft der Mann?"

Ich sage ihr, dass es Häuser gibt, wo arme Menschen schlafen können. Stunden später, als wir vor dem Haus stehen, in welchem Klara mit ihren Eltern wohnt, meint sie: "Da ist Wohnung. Da kann Mann schlafen!"

Ihre Frage bekundet Anteilnahme und Mitleid, die sich auch in Stimme und Mimik zeigen. Sie versteht, dass bestimmte Dinge wie Essen und Wohnung keineswegs selbstverständlich sind. Und sie ahnt etwas von den Privilegien, an denen sie Anteil hat. Ahnt etwas von sozialen Differenzen. Das Thema "Wohnen" ist in dieser Zeit sehr wichtig, draußen spielt sie gerne "das ist jetzt unser Haus!", in der Wohnung baut sie gelegentlich erste Unterschlüpfe (unter Stühlen, Tischen, Decken). Innerhalb der Sprachentwicklung zeigt diese Frage einen ganz entscheidenden Entwicklungsschritt hin zur vollständigen sprachlichen Explikation. Fragewort und Verb sind vollständig getrennt und das Kind setzt auch bereits einen Artikel ein. Das nachfolgende Gespräch zeigt allerdings mit Sätzen wie "Da ist Wohnung", dass  auch erfolgreich mit sparsameren Mitteln kommuniziert werden kann und das Kind davon gerne Gebrauch macht.
Später mit Fünf werden die Themen Betteln und Obdachlosigkeit erneut wichtig. Dann will sie mehr Details wissen, fürchtet, die Mama könne zur Bettlerin werden, wenn sie große Einkäufe macht, ermahnt Erwachsene gelegentlich, nicht so viel Geld auszugeben. Sie entwickelt dann, mit Fünf, auch einen Begriff von "mein Haus" und achtet ihr Zimmer mehr, räumt auf, baut nun ausdrücklich Hütten in der Wohnung, ein Haus im Haus. Dann ist auch bald die Rede von "schönem" Haus, wobei meist groß und geräumig gemeint ist. Wie im Englischen sind dabei "Haus" und "Wohnung" nicht klar getrennt.

Mit Neun lese ich ihr "Prinz und Bettelknabe" von Marc Twain vor. Trotz der oft langatmigen Schilderungen und der gewundenen Sprache bleibt sie bis zum Schluss interessiert, gerade auch am Thema der Armut.


Svenja Rehse:
              Wie macht ein Baby?











Bewusstsein der eigenen Entwicklung. Rollenübernahme

WIE MACHT EIN BABY? (2+)

Sie spielt "Baby", kommt an den Spiegel im Flur, der bis zum Boden reicht, möchte wissen, wie ein Baby sich verhält, wenn es in einen Spiegel schaut.

Ich mache ihr kurz vor, wie ein Baby nach seinem Spiegelbild tastet. Erkläre ihr dann, dass Babys manchmal meinen, das im Spiegel sei ein anderes Baby. Dass sie aber schnell lernen, dass sie das selber sind.

In diesem Alter des definitiven Abschieds vom Babysein spielt sie häufig Baby, ahmt deren Hilflosigkeit, das Brabbeln und Quengeln gekonnt nach, aber auch das freudige Strahlen, Lachen oder den tapsigen Umgang mit Dingen. Ob es an ihrer noch unausgereiften Mimik liegt oder an einer absichtlichen Tendenz, die "Unfertigkeit" von Babys zu überzeichnen, kann ich nicht entscheiden: Aber ihre Babys muten bisweilen fast wie Karikaturen an. Sie überzeichnet das Babyhafte, möglicherweise zur Abgrenzung, vielleicht aber auch einfach aus erster "theatralischer" Spiellust.

Offensichtlich verarbeitet sie mit ihrem Babyspiel die Umbruchsituation dieses Alters. Sie ist noch nicht "groß", ist beim Spielen noch stark eingeschränkt, auch beim Sprechen noch weit von den Erwachsenen oder großen Kindern entfernt - aber auch fern nun der Babywelt mit ihrem Versorgtsein und Umsorgtsein. Dem "ich bin kein Baby mehr" korresponiert nun ein weiterführendes "ich kann Baby spielen". Ein weiteres Spiel der Zeit ist, sich ein Kissen oder eine Puppe unter den Pulli zu schieben und zu sagen "ich hab ein Baby im Bauch". Womit sie die Zugehörigkeit zur "Erwachsenenwelt" zumindest spielerisch für sich reklamiert - aber auch die Themen Schwangerschaft und "Wo komme ich her" für sich bearbeitet.

Das Fragenmodell "Wie macht ....?" verweist darüber hinaus auch grundsätzlich auf die Fähigkeiten, nun Rollen zu übernehmen, zu sich in Distanz gehen zu können und sich in andere hinein zu versetzen, versetzen zu wollen. Dass diese Fähigkeiten sich in der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, der eigenen Vergangenheit als Baby artikulieren, scheint mir ein Hinweis darauf, dass eine wichtige Voraussetzung für Rollenübernahme und damit auch Empathie die Einsicht ist, selbst in anderen Rollen schon gelebt zu haben. Verblüffend in seiner Stimmigkeit ist, dass das Kind dieses Thema hier gerade am eigenen Spiegelbild bearbeitet.

Zum Bezug von Identität und Rollenübernahme siehe George Herbert Mead 1934. Die Rolle des Spiegelbildes in der Identitätskonstruktion hat Jacques Lacan herausgearbeitet.

Svenja Rehse: Was ist das, 2018








Weltwissen. Begriffssystem. Text-Bild-Beziehung

WAS IST DAS? (2+)

Die Frage ist, wie oft in diesem Alter, verbunden mit einer Zeigegeste. Klara zeigt auf eine Bildpostkarte mit einem interessanten Fisch.

Meine erste Antwort, "ein Fisch", befriedigt sie nicht: "Nein, was für ein Fisch!". Ich lese von der Rückseite der Karte vor: "Rotfeuerfisch". Diese Antwort gefällt ihr.

Die Fragen von Klara in diesem Alter sind oft rudimentär, knapp, nur im Kontext zu erschließen, oft durch Gesten unterstützt. Sie will auch schon häufig vorgelesen bekommen, was auf Erklärungstafeln steht oder wie bei diesem Beispiel die Erläuterung zu einem Bild. Insofern gehört diese Frage hier auch in den Kontext der Frage "Was steht da?".

Sie begnügt sich in den Antworten auf Fragen, den Erklärungen zu Bilderbüchern etc. nicht mehr mit einfachen Kategorien wie "Fisch", "Baum" etc., will Differenzen kennen lernen, spezifische Bezeichnungen, Namen. Dabei spielt das Fragemodell "Was für ein ...?" zunächst noch eine Nebenrolle. Obgleich die Frageintention nun schon auf Feindifferenzierungen geht, ist das mentale Begriffssystem wenig hierarchisiert, weshalb ihr die Frage "Was ist das?" offenkundig noch ausreichend scheint.

Auffallend für die sprachliche Entwicklung ist hier, dass die Bildung der Frage "Was für ein Fisch ist das?" kognitiv bereits möglich ist, aber erst auf einen konkreten Bedarf hin aktiviert wird! Insofern ist ein etwas unaufmerksamer (oder auch bewußt herausfordernder) Gesprächspartner hier ganz hilfreich, die Sprachaktivität des Kindes voranzubringen. Wäre die Reaktion gleich gewesen "ein Rotfeuerfisch", hätte das Kind die schlichte Frage "Was ist das?" als zielführend bestätigt gesehen.

Oft sind solche schlichten Frageformen allerdings durchaus zielführend, auch für Erwachsene. Wir explizieren unsere Frageintentionen sehr häufig nicht, verlassen uns auf die Kontextdetermination. Und Kinder nehmen das natürlich auch wahr - wir sollten also nicht vom Kind eine Ausdrücklichkeit erwarten, die wir selbst oft nicht leisten!


Svenja Rehse:
              Wo schlafen Flamingos?











Tierwelt. Tier-Mensch

WO SCHLAFEN DIE FLAMINGOS? (2+)

Die Frage fällt im Zoo. Klara sieht, dass einige Flamingos mit geschlossenen Augen auf einem Bein stehen, kann aber nicht glauben, dass die so auch schlafen.

Eine Frage, die Lexikonwissen erfordert, denn es geht hier darum, ob Flamingos auch in einer Art Bett schlafen oder sich auf den Boden legen. Und ob sie alle zusammen schlafen oder alleine. Die korrekte Antwort ist, dass Flamingos in der Tat im Stehen schlafen, in der Gruppe. Meist auf einem Bein, das allerdings gelegentlich gewechselt wird.

Die Frage gehört in den Kontext vieler Fragen dieser Zeit, die auf eine Vertiefung des Weltwissens abzielen. Das Kind beobachtet und möchte vor allem Aufklärung bei irritierenden Beobachtungen, die mit dem eigenen Erfahrungwissen nicht erklärt werden können. Von Bauernhöfen weiß Klara schon, wo und wie Kühe und Pferde schlafen. Aber Flamingos? "Haben die ein Bett?" spekuliert sie, und "schlafen die alle in einem Raum?" will sie wissen.

Offenkundig erhofft Klara sich von Antworten auf Fragen in der Tierwelt auch Einsichten in das Zusammenleben von Menschen. So will sie im Zoo bei den Seelöwen auch wissen "Warum ärgert der große Seelöwe die kleinen?" - wobei es sich beim "großen" um das Männchen handelte. Sie reflektiert hier erkennbar auch eigene soziale Erfahrungen, denn einige Zeit davor, beim Abholen vom Kindergarten, hat sie sich darüber beschwert, dass "die Großen" wieder mal "die Kleinen" geärgert haben.

Bezugspersonen können an dem, was Kinder bei Tieren besonders interessiert, auch Themen erkennen, die das Kind im eigenen Lebensumfeld beschäftigen. Aber Vorsicht mit allzu schlichten und direkten Übertragungen! Und es sollte dem Kind überlassen bleiben, eventuell im Futterneid bei Tieren an das Gerangel von Kindern um Süßigkeiten zu denken. Ein offenes Ohr und Rückfragen beim Kind sind sicherlich hilfreicher als vorschnelle Analogiebildungen durch die Erwachsenen.

Was ist
                  da passiert









Empathie. Kausalitäten. Bilderverständnis

WAS IST DA PASSIERT? (2+)

Wir waren in der Städtischen Galerie und standen (wieder einmal) vor einem Bild, das ein ärmlich gekleidetes frierendes Mädchen im Winter zeigt. Frühere Kommentare von Klara zu diesem Bild waren "Aua", dann "Mädchen weint!". Nun will sie wissen "Was ist da passiert?"

Die Frage erlaubt schon Antworten, die ein Bild "interpretieren", Vermutungen äußern. Ich habe das Thema "Armut" angesprochen, auch angesprochen, aus welcher Zeit das Bild ist, welche gesellschaftlichen Bedingungen herrschten.

Die Frage zeigt schon ein Denken in Zusammenhängen, Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Vorbereitung auf Warum-Fragen). Das Kind begreift nun auch den Verweis- und Bericht-Charakter von Bildern, dass die etwas dokumentieren, das es zu erschließen gilt. Zumindest im Alltagsgebrauch, Zeitungsbilder etwa. Für die meisten Bilder eines Kunstmuseums ist diese Frage natürlich "laienhaft" - und sehr zügig begriff das Kind in der Folgezeit dann auch, dass Kunstbilder eher selten etwas zeigen, das auf ein Geschehen verweist. Und fand das oft dann "langweilig".

Im Alter von Zwei und Drei ging Klara sehr gerne in Kunstmuseen und Ausstellung. Das hat sich dann verloren - bis hin zur vorbeugenden Erklärung beim Abholen vom Kindergarten "Ich will aber heute nicht ins Museum!". Zoo und Spielplatz haben das Museum als Attraktor abgelöst, etwa gleichzeitig wurde das Naturkundemuseum attraktiv - auch im Blick auf Ausdifferenzierung der Welt, etwa mit dem Interesse, welche verschiedenen Tiere, welche verschiedenen Fische gibt es. Erst mit Sechs wurden auch Kunstmuseen wieder interessanter. Unter der Voraussetzung, dass es da "etwas für Kinder" gab. Wobei "für Kinder" auf Nachfrage bedeutete: "mit Tieren", "was Lustiges".

Die hier vorgestellte Frage folgt dem Muster der Fragen von Erwachsenen, wenn es z.B. Streit bei Kindern gab und ein Kind weint, "was ist da passiert?". Diese Frage ist auch der Einstieg in Vermutungen, Spekulationen; "vielleicht" und andere Modalwörter tauchen nun tastend im Sprachschatz des Kindes auf. Damit werden auch kleine "spannende" Geschichten interessant, in denen es "Geheimnisse" gibt, die allerdings noch möglichst zügig aufgeklärt werden müssen.


Svenja Rehse: Wo ist großer Bus, 2018








Gegensatzpaare. Objektivität

WO IST GROßER BUS? (2+)

Wir sind im Auto unterwegs. Ein VW-Bus fährt vorbei und ihr Kommentar ist: "Kleiner Bus!" Gleich anschließend fragt sie "Wo ist großer Bus?"

Ich erkläre ihr, dass wir am Bahnhof gewiss einen großen Bus sehen werden, da dort viele Leute Bus fahren wollen. Dass der "kleine Bus" aber nicht für alle Leute sei, sondern nur für die Leute, denen der Bus gehöre, wie ein Auto auch.

Für mich bleibt unklar, ob sie Größenverhältnisse lernen wollte - also ab wann ein Bus "groß" sei, und wann "klein". Oder ob sie einfach nur Lust hatte, einen großen ('richtigen') Bus zu sehen, weil der "kleine" für sie uninteressant war. Oder vollzog sie da eine Analogiebildung zu ihrer kindlichen Erfahrungswelt, dass bei einem "Kleinen" immer auch ein "Großer" in der Nähe sein müsse?

Sie hatte in diesem Alter die Begriffe von "groß" und "klein" durchaus bereits erfasst, erklärte öfter mal, sie sei "schon groß", also "kein Baby mehr". Aber sie erfuhr auch, dass Erwachsene gelegentlich dieses ihr "groß sein" anzweifelten. Mit der Frage nach dem "großen" Bus könnte auch ein erstes Bedürfnis nach "objektiven" Kategorien verbunden gewesen sein - also implizite die Frage, ab wann ein Bus "groß" zu nennen sei.

Das Kind lernt "groß" und "klein" zunächst einmal in Verhältnissen. Deshalb kann es auch von sich so forsch behaupten, es sei "schon groß". Im Verhältnis zu einem Säugling ist das durchaus korrekt. Solch ein direktes Vergleichsverhältnis scheint es sich mit dieser Frage auch für die Größe von Bussen zu wünschen.

Womit wir uns mitten in einer philosophischen Fragestellung zur Objektivität qualifizierend-relationaler Quantitätsangaben befinden. Was bedeuten "groß", "klein", "viel", "wenig", "schwer", "leicht" und ähnliche Kategorien? Auch Erwachsenen gelingt es oft nicht, hier eine klare intersubjektive Übereinstimmung zu finden.

Die schlichte Frage "Wo ist großer Bus?" verweist uns darauf, dass auch ein zweijähriges Kind von der Problematik schon eine Ahnung haben kann, die weit über die Zweifel von Erwachsenen an seinem "schon groß sein" hinausreicht. 


Svenja Rehse: Was steht da, 2018















Lesekompetenz

WAS STEHT DA? (2+)

Erstmals stellte Klara diese Frage vor einer Hausnummer, dann vor Straßenschildern und anderen Schildern im öffentlichen Raum, dann zu Etiketten auf Lebensmittelpackungen. Also da, wo auch Touristen in einem fremdsprachigen Land anfangen mit der Orientierung.

Ich habe sie dann vor allem auf Zahlen und Buchstaben aufmerksam gemacht, mit denen sie schon eine Verbindung hatte, also etwa die "2", weil sie so alt war, oder die Buchstaben aus ihrem Namen.

Die Frage "WAS STEHT DA?" ist eine der wichtigsten Fragen, um Schreiben und Lesen zu lernen. Gestellt wird sie lange ehe das Kind von seiner Entwicklung her in der Lage ist, Lesen zu lernen. Doch sie ist hilfreich, weil sie die Motivation, Schreiben und Lesen zu lernen, früh weckt und erhält. Die Frage zeigt, dass das Kind Schrift als etwas begreift, das uns hilft, die Umwelt zu verstehen, uns zu orientieren. Schrift löst sich nun aus dem Kontext des ersten häuslichen Kennenlernens, aus (Bilder-, Lieder-)Büchern, Zeitungen und sonstigem bedrucktem Papier im Haushalt. Sie wird für das Kind als etwas bedeutsam, dass zur Orientierung draußen hilfreich ist.

Mit Vier erklärte Klara dann vorzugsweise an Straßenschildern und Info-Tafeln an Häusern (Arztschilder, Namen von Institutionen etc.), dass sie das lesen könne. Wobei sie in der Regel auswendig Gelerntes wiederholte. Zahlen konnte sie allerdings nun schon häufig richtig erkennen. Und "ihren" Buchstaben, den ersten ihres Namens, das "K", identifizierte sie in verschiedenen Schreibweisen.

Wichtig ist in dieser Phase einmal, auf die Funktion der Schrift im Außenbereich aufmerksam zu machen. Zahlen und Schrift im Außenbereich sind durch ein extremes Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten geprägt, von riesigen, dekorativen Werbeschriften bis zur Kleinschrift an Klingelknöpfen. Um die Identifikation von Zahlen und Buchstaben unter diesen verschiedenen Schreib- und Gestaltungsweisen dem Kind überhaupt erst zu ermöglichen, ist die Beschränkung auf wenige Zeichen sinnvoll. Dabei bieten sich die Buchstaben des Kindernamens an, sein Alter, die eigene Hausnummer und Ähnliches.




Svenja Rehse:
              Papa, das ist keine Tasse, oder?







Zweifelfragen. Wortschatzerwerb. Eindeutigkeit. Konventionen

PAPA, DAS IST KEINE TASSE, ODER? (2+)

Ich bin zu Besuch bei Klara und ihren Eltern. Ich bezeichne eine Teeschale als Tasse. Klara wendet sich an ihren Vater: "Papa, das ist keine Tasse, oder?".

Der Papa ist diplomatisch und erklärt, dass man zu einer Schale, aus der man Tee trinkt, auch Tasse sagen könne. Und er fügt hinzu, dass die Untertasse ja auch keinen Henkel habe. Klara: "Aber wir sagen Schale, oder?" Das bestätigt der Vater und damit ist das Kind zufrieden.

Natürlich wäre es unangemessen, dem Kind hier die Etymologie von "Tasse" aus dem arabischen Wort für Schälchen/Napf zu erklären. Worum es geht ist die Verlässlichkeit der (Sprach-)Welt. In diesem Alter genießen die Eltern in der Regel noch unumschränkte Autoriät. "Der Papa hat aber gesagt" oder "die Mama hat aber gesagt" sind nun häufige Ausdrücke. Und diese Autorität spiegelt sich auch in der Sprachwelt.

Es ist dies auch die Phase, in der Kinder (nicht alle und nicht alle im gleichen Maße) darauf beharren, eine Geschichte immer wieder im exakt gleichen Wortlaut vorgelesen zu bekommen, ohne Abkürzungen oder Variationen durch die Erwachsenen. "Die Mama erzählt die Geschichte aber ganz anders!"

Es wäre in solch einer Situation wenig angemessen, würden Oma, Opa, Erzieherin, Tageseltern nun ihre eigene Bezeichnung "verteidigen". Das "wir sagen so" ist dem Kind unbedingt zuzugestehen und es zeigt ja auch, dass es bereits in der Lage ist, unterschiedliche Sprachgewohnheiten und Bezeichnungsweisen zu erkennen.

Interessant auch eine ähnliche Situation in diesem Alter um den dritten Geburtstag. Ich bin mit ihr im Zoo und eine ältere Dame sagt: "Das ist aber eine Süße!" Klara darauf: "Ich bin keine Süße! Zucker ist süß!" Sprache muss klar sein, eineindeutig, da ist (noch) kein Platz für Metaphern - und schon gar nicht für eine, die das Kind als beleidigend empfindet ("ich bin kein Baby mehr!"). Mit sechs sollte sie dann selber häufig etwas "süß" finden, insbesonders kleine Tiere. Und spätestens zu Beginn der Gymnasialzeit dann auch kleine Kinder.

Svenja
                  Rehse: Weißt du, was ich schon gearbeitet habe?








Satzfragen mit Nebensatz. Ich-Entwicklung. Perspektivwechsel. Arbeit

WEIßT DU, WAS ICH SCHON GEARBEITET HABE? (2+)

Wir sind auf einem Spielgelände, sie beschäftigt sich alleine und kommt dann gerannt mit dieser Frage.

Auf mein "Nein"als Antwort erklärt mir das Kind: "Ich hab Erde gegraben!"

Inhaltlich ist die Frage insofern besonders interessant, als das Kind nun sich selbst gleichsam über den Erwachsenen befragt, einen doppelten Perspektivwechsel im Fragen vornimmt. Einmal will es etwas über die Gedanken, das Wissen des Erwachsenen erfragen. Zum anderen will es dabei etwas erfragen, was mit ihm selbst zu tun hat.

Fragen wie diese kennzeichnen die Entdeckung der eigenen Persönlichkeit. Sie treten auf in einem Alter, das den Unterschied zwischen Spiel und Ernst entdeckt, das im Spiel nun auch bewusste und verfügte Rollenübernahmen kennt und z.B. nicht mehr abwehrt, wenn der Erwachsene mit verstellter Stimme spricht, sondern dies vom Erwachsenen sogar explizit fordert (z.B. für den Frosch zu sprechen).

Der um den dritten Geburtstag gehäuft auftretende Fragentypus macht im Vergleich mit Fragen der Folgezeit deutlich, wie die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten nicht-linear verläuft. Fragen wie die zitierte (und etwa die nachfolgende) sind von einer Komplexität, die in den folgenden zwei Jahren scheinbar verlorengeht. Erst mit Fünf erscheinen äußerlich ähnlich gebaute Fragen wieder gehäuft. Die Kompexität der ersten Phase scheint instabil, von abgehörten Mustern geprägt, nur halb verstanden.

Zwei Erklärungsmodelle bieten sich an: Dass die Komplexität der Fragen um den dritten Geburtstag herum wieder verloren geht durch die Verlagerung der Entwicklung auf andere Bereiche - und dann später neu gewonnen wird. Oder aber: die Komplexität kehrt auf einer gehaltvolleren Ebene wieder, gleichsam eine Spiralwendung höher - um ein Entwicklungsbild aus der Philosophie zu zitieren.

Die Frage ist auch bemerkenswert durch die Thematisierung von Arbeit. Dass der Mensch erst durch Arbeit zum Individuum wird, sich selbst verwirklicht, ist eine tradierte christlich-protestantische Überzeugung, wenn wir Max Weber folgen. Das Kind "spielt" diese Konzeption hier nach, in der Trias von "Ich", "Du" und "Arbeit. Sein Vorbild ist die Bedeutung der Arbeit in seiner eigenen Familie, mit zwei berufstätigen Elternteilen.

Im Blick auf die Sprachentwicklung fällt hier natürlich die perfekte Nebensatzkonstruktion auf. Sie folgt einem gängigen Muster, das dem Kind oft begegnet, einem Fragemodell, mit dem Erwachsene sich auch oft an das Kind wenden. Auch hier drängt sich wieder der Eindruck auf, dass es gerade Fragen sind, die die Sprachentwicklung vorantreiben.


Svenja Rehse: Was hab ich in meiner Tasche
              versteckt, 2018








Ich-Entwicklung. Sammeln. Verstecken

WAS HAB ICH IN MEINER TASCHE VERSTECKT? (2+)

Bei einem Ausflug strolcht das Kind herum, kommt dann zum Erwachsenen mit dieser Frage.

Der Erwachsene rät herum und nennt Dinge, die man draußen in der Natur sammeln kann, ein Holzstückchen, ein Blatt, eine Eichel, eine Kastanie, ein Bonbonpapier, einen Stein. Bei "Stein" jauchzt das Kind auf und zieht einen glatten, runden Kieselstein heraus.

Für diese Frage gilt Ähnliches wie für die vorangegangene Frage zur "Arbeit". Sie folgt dem Modell einer Befragung des Anderen über das Eigene. Und sie thematisiert die Weltaneignung durch das Kind, nun durch "Sammeln". Es ist das Alter, in welchem die Taschen allmählich sich füllen mit Holzstücken, Steinen, Muscheln, Bonbonpapieren und Ähnlichem.

Ich nenne diese Zeit das kindliche Barock. Im Barock entstanden an den Höfen seltsame Kuriositätenkabinette, erste naturhistorische Sammlungen, die weniger historisch, eher allegorisch angelegt waren und die Varianz des immer Ähnlichen (z.B. Vogelfedern oder Geweihe) sowie den Reiz der Seltsamkeit (z.B. Exotika, Mißbildungen) über die innere Struktur und die kontextuelle Beziehung stellten. Die besondere Verfasstheit dieses kindlichen "Zeitalters" zeigt sich auch an Fragen wie "Wer mag alles Regenwürmer?", die ich einige Positionen weiter unten noch erörtere. Das Kind bildet Gruppen, Mengen, die durch sehr eigenwillige Kriterien zusammengehalten werden, die etwa bei Bergen weitgehend identischer Muscheln oder Kieselsteine dem Erwachsenen nicht unbedingt einleuchten. Für die Kinder sind sie nicht identisch (streng logisch ja auch nicht), jeder/jede ist ein Individuum.

Dass im Fragebeispiel ein Kieselstein relevantes Objekt ist, muss nicht erstaunen. Die Sammelleidenschaft von Kindern beginnt mit Naturobjekten und Steine spielen dabei eine besondere Rolle. Etwas von diesem Reiz bleibt auch Erwachsenen erhalten, denken wir an Spielsteine und Roulettchips, Glückssteine und magische Steine gegen jede Art von Krankheit. Oder Edelsteine. Drei umgangssprachliche Ausdrücke für Geld - Stein, Kies und Schotter - seien der Vollständigkeit halber auch erinnert.

Dass es hier in der Frage um "Verstecken" geht, verweist auf das nun erwachende Interesse von Kindern am Geheimnis, verweist auf die Fähigkeit, sich selbst auch abzugrenzen, etwas den anderen zu entziehen, auch sich selbst zu verstecken - und ersten "Besitz" beiseite zu nehmen. "Meine Schaufel!" wird nun zum ernsten Thema und "Verstecken" zu einem noch lange beliebten Spiel.

Svenja Rehse: Was machen wir jetzt, 2018









Aushandlungsprozesse. Zeiterfahrung. Langeweile

WAS MACHEN WIR JETZT? (3-)

Die Frage "Was machen wir jetzt?" kam in diesem Alter öfter. Eine Situation, an die ich mich erinnere, war ein Nachmittag, an dem ich mit dem Kind allein war und wir schon einige Dinge getan hatten, die das Kind wollte, einige, die ich vorgeschlagen habe. Zuletzt hatten wir gereimt, aber das schien das Kind bald zu ermüden. Dann kam die Frage.

Meine Reaktion war, zurückzufragen, was das Kind tun möchte. "Weiß nicht." Ich schlug Malen vor, was kein grandioser Vorschlag war, aber begeistert angenommen wurde.

Bei Kindern in diesem Alter bin ich oft verblüfft, wie eng überschäumende Aktivitäten mit Momenten einer vollkommenen Ideenlosigkeit, fast Antriebslosigkeit abwechseln. Und ich denke dabei an die etwas bissige Anekdote der 70er Jahre mit Kindern, die im antiautoritären Kinderladen fragen: "Müssen wir heute wieder tun, wozu wir Lust haben?"

Etwa zeitgleich mit dieser Frage tauchen erstmals Aussagen auf wie "mir ist langweilig" oder "das ist langweilig" - eine notwendige Erfahrung in der Entwicklung des Zeitempfindens, die das Kind dabei macht.

In diesen Kontext gehört auch der nun häufiger auftretende Wunsch, selbst zu "bestimmen" - etwa über die Kleidung. Insofern verweist die Frage auf einen Reifungsprozess, der das gemeinsame Aushandeln von Aktivitäten, Verhaltensweisen, Entscheidungen ermöglicht. Auch wenn das Kind hier keinen eigenen Vorschlag einbringt und es noch ein langer Prozess ist, der bis in die Schulzeit hineinragt, ehe das Kind auch Ergebnisse akzeptieren kann, die seinen eigenen momentanen Bedürfnissen nicht entsprechen.

Die Frage könnte allerdings auch darauf hinweisen, dass ein Kind stark auf Erwachsene hin oder auf Kindergruppen hin orientiert ist und vielleicht Probleme damit hat, sich selbst zu beschäftigen. Es lohnt sich, bei dieser Frage zu schauen, was das Kind damit verbindet. Sie sollte auch dazu anregen, über die eigene Rolle als Erwachsener nachzudenken: Spiele ich den Alleinunterhalter?



Svenja Rehse: Wie heißt du, 2018








Sprachritual. Sozialgefüge. Kontaktaufnahme

WIE HEIßT DU? (3-)

Eine Frage, die Klara mit Anfang Drei gelegentlich gehäuft in der Bahn oder bei Veranstaltungen Menschen stellte, zu denen es keine Kontakte gab, zu denen sie einfach mit ihrer Frage hinging.

Gelegentlich ließ ich sie gewähren, wenn ich den Eindruck hatte, dass die Leute sich nicht belästigt fühlten. Gelegentlich bremste ich sie. Das Verhalten verlor sich jedoch so rasch wieder wie es gekommen war.

Bei Personen, die einen direkten Kontakt mit ihren Eltern hatten, stellte Klara die Frage auffallend selten. Bei Fremden schien sie das mehr zu interessieren. Später kam die Frage nur noch gelegentlich bei Leuten, mit denen es einen persönlichen Kontakt gab.

Kinder hatten in weniger individualisierten Gesellschaften eine wichtige Funktion für den sozialen Zusammenhalt der Gruppe, Sippe, Familie. Die letztlich an alle gerade Anwesenden gestellte Frage "WIE HEIßT DU?" offenbart ein wesentliches Moment dieser Funktion. Gelegentlich konnte ich auch ein Verhalten beobachten, wie es von Schäferhunden bekannt ist, die eine Gruppe von Menschen zusammenzuhalten suchen, indem sie zu jedem immer wieder kurzen Kontakt aufnehmen, und sei es nur durch Vorbeigehen, mal am Ende der Gruppe, mal ganz vorne.

Im Alter von Fünf berichtet sie mir mit kritischem Unterton, dass Kinder sie immer nach ihrem Namen fragen auf dem Spielplatz. Mir war bereits aufgefallen, dass sie auf diese Frage, auch von Erwachsenen im Kontaktumfeld (Mütter anderer Kinder z.B.), oft befremdet reagiert und nicht antwortet. Auf meine Frage, warum sie die Frage nicht mag, antwortet sie einmal "ich kenn die doch gar nicht", ein andermal "manchmal hab ich einfach keine Lust!". Dahinter könnte auch die Erinnerung an das Befremden mancher Erwachsener stehen, als sie diese Frage mit drei Jahren häufig stellte.

Svenja
                  Rehse: Wer mag alles Regenwürmer?








Wissensorganisation. Tiere. Nahrung. Gruppenbildung

WER MAG ALLES REGENWÜRMER? (3-)

Die Frage stellt Klara, als wir eine Amsel beim Picken auf einer Wiese beobachten und ich erkläre, dass die Regenwürmer suche, weil sie Regenwürmer mag. Das Thema, was Tiere fressen, interessiert sie schon seit einiger Zeit und sie fragt nun "Wer mag alles Regenwürmer?".

Ich zähle einige auf, komme auch zum Igel. Da will sie wissen, was der Igel sonst noch isst. Ich erkläre, dass er fast alles frisst, was von der Größe her passt, kleine Tiere und Beeren und Körner, dass Igel Allesfresser seien. Da lacht sie und schüttelt den Kopf. Ich frage, warum sie lache, sie antwortet: "Allesfresser, das ist lustig!"

Die Frage stammt aus dem Bereich des gemeinsamen Essens - im Kindergarten oder bei Familientreffen. Da wird von Erwachsenen bisweilen gefragt "Wer mag alles Salat?" oder ähnlich.

Diese Frage zeigt das Bedürfnis, Wissen zu systematisieren und innerhalb des zunehmend komplexer werdenden Tierreiches im Kopf des Kindes eine eigene Ordnung zu finden, die dem Kind näher liegt als die Einteilung in Vögel, Fische, Landtiere. Mit Fünf tauchte die Frage beim gleichen Kind auf im Kontext "süß". Wir hatten Ameisen beobachtet, ich erzählte dem Kind von meinem Ärger mit Ameisen, die meine Feigen auffressen, "weil sie süß so mögen". Da fragte das Kind "Wer mag sonst noch süß?".

Diese Einteilungskategorie ("alle Tiere, die X mögen") erinnert an barocke Kuriositätenkabinette oder die "gewisse chinesische Enzyklopädie" des Jorge Luis Borges mit ihren Kategorien zur Einteilung des Tierreiches - etwa "Tiere, die dem Kaiser gehören".

Im Alter von gerade Zwei hat das Kind bei Pinguinen im Zoo und Eidechsen auf einer Trockenmauer wissen wollen, was die essen. Mit den Antworten "Fisch" bzw. "Würmer und Schnecken" war sie damals nicht zufrieden. Sie wollte denen eher "Steine" (lassen sich so schön ins Wasser werfen), "Blätter", "Waffeln" (hatte sie gerade selber gegessen) und "Apfel" vorschlagen - und am liebsten ihnen auch selbst anbieten, sie füttern.
Dass Tiere andere Tiere essen, war und blieb ihr eine unbehagliche Vorstellung.


Svenja Rehse: Tut es weh, wenn die Haare wachsen







Satzfragen mit Nebensatz. Statische Welt. Analogiebildungen

TUT ES WEH, WENN DIE HAARE WACHSEN? (3-)

Die Frage stellte Klara, als ich frisch vom Friseur kam und sie meinte, ich solle wieder lange Haare haben. Sie habe auch lange Haare, und das sei schön. Ich versicherte, dass meine Haare wieder wachsen und länger werden. Und da die Frage "Tut es weh, wenn die Haare wachsen?".

Ich antwortete, nein, die Haare wachsen ja von ganz alleine und immer, das tue nicht weh. Sie beteuerte: "Mir tut das weh!" Im weiteren Gespräch wurde klar, dass sie (lange) Haare waschen und kämmen meinte.

Bezeichnend ist, dass sie noch keine Vorstellung vom "Wachsen" hat - wie auch, dabei kann man ja nicht zuschauen. Selbst bei Pflanzen ist das nur in Zeitlupe zu sehen. Ihre Verbindung von "waschen" und "wachsen" irritiert zunächst. Liegt hier eine Verwechslung durch die Wortähnlichkeit vor? Oder überträgt sie die Schmerzerfahrung beim Haarewaschen auf das Wachsen der Haare? Kinder machen früh die Erfahrung, dass Pflanzen durch Gießen wachsen. So könnte es ja auch mit den Haaren sein.

Auffallend ist in dieser Situation auch, wie positiv sie lange Haare sieht. Überhaupt sind Haare wichtig, eine Puppe ohne Haare, das findet sie nicht gut. Die Hochschätzung langer Haare bei ihr könnte an den Vorbildern von Mutter und Großmutter liegen. Aber kulturgeschichtlich waren lange Haare auch bei Männern zumeist positiv besetzt, bis hin zum Einsatz von Langhaarperücken.

Es ist immer wieder lehrreich zu sehen, wie Kategorien, die uns vollkommen selbstverständlich sind, für Kinder Rätsel bergen. Rätsel, die in der Philosophiegeschichte auch häufig Anlass zu ausgiebigen Kontroversen boten. Was "Wachsen" und allgemeiner "Werden" bedeutet, ist Philosophen und Theologen keineswegs selbstverständlich. Zumal mit Wachsen immer auch Vergehen und Zerfallen verbunden ist. "Wie scheint doch alles Werdende so krank" schrieb Georg Trakl in seinem Gedicht "Heiterer Frühling".

Kurz nach dem siebten Geburtstag kam die Frage "Tut Sterben weh?".

Svenja Rehse: Die Mama sagt, die Oma ist
                  ihre Mama, 2018







Indirekte Fragen. Familienbeziehungen. Kindlicher Egoismus. Komplexitätsproblem. Verdrängung

DIE MAMA SAGT, DIE OMA IST IHRE MAMA!? (3-)

Klara berichtet mir empört "Die Mama sagt, die Oma ist ihre Mama!?" Der Zweifel daran ist offenkundig. Sie will Aufklärung von mir, und auch Unterstützung, denn "Das will ich nicht!".

Ich erkläre ihr, dass die Mama Recht habe, das stimme so. Und wenn die Oma nicht die Mama von der Mama wäre, dann wäre die Mama nicht die Mama von der Klara. Sie schaut beleidigt. Das muss sie erst einmal verarbeiten. Ich versichere ihr, dass jede Oma auch Mama sei. "Wirklich alle?" Als ich das bejahe, ist sie ein bisschen versöhnt. "Und beide haben dich lieb, die Oma und die Mama!", füge ich noch hinzu. Denn es ging wohl auch um emotionale Konkurrenz.

Die hier aufblitzende Eifersucht auf die Mama im Blick auf die Oma ist charakteristisch für diese Altersstufe, die auch nicht immer gut damit umgehen kann, wenn ein Geschwisterchen kommt. Darüber hinaus ist wohl auch das Bedürfnis nach einer klaren Welt mit eindeutigen Rollen beteiligt. Das Kind nimmt schon wahr, dass die Welt nicht so einfach ist, wie es die Sprache suggeriert, wonach Oma Oma ist und Mama Mama. Mamas können auch Oma sein und jede Oma ist auch Mama. Das ist zunächst irritierend und beunruhigt gelegentlich.

"Das will ich nicht!" benennt sehr anschaulich den Impuls, der hier spontan kommt: Zu verdrängen, eine irritierende/bedrohende Wirklichkeit abzulehnen, nicht zur Kenntnis zu nehmen. Wohlgemerkt als Reaktion eines Kindes - die vollkommen verständlich ist und so auch stehen bleiben darf. Einige Monate später ist es akzeptierte Wirklichkeit, dass die Oma die Mama von der Mama ist. Auch wenn es im Weltbild weiterhin lange nicht integriert werden kann, da z.B. das historische Zeitverständnis noch nicht entsprechend entwickelt ist. Noch mit Anfang Fünf ist es für Klara nicht eindeutig klar, ob die Mama nicht auch "vor" der Oma gelebt haben könnte - sie arbeitet dann allerdings daran, dies für sich zu klären.

Indirekte Fragen sind in diesem Alter (3) sehr häufig. Das könnte einerseits mit Sprachökonomie zusammenhängen. Andererseits damit, dass Kinder in diesem Alter noch in vielen Belangen unsicher sind, Begriffe nicht kennen, Zusammenhänge nicht sehen - aber zugleich schon ein recht kompaktes Weltwissen und Weltbild haben, in welchem sie sich sicher fühlen. Da möchte/kann ein Kind nicht selbst alles in Frage stellen. Und Erwachsene sollten hier nicht zu besserwisserisch auftreten, sollten das Kind in seiner Sicht ernst nehmen.

Mit Fünfeinhalb erklärt mir Klara dann von sich aus, dass ihre Oma die Mama der Mama sei. Nun war das Thema also abgeschlossen, zu eigen gemacht. Sie begriff zugleich damit auch weitere Dimensionen der Generationenfolge, etwa die Weitergabe von Wissen - die Mama habe von der Oma gelernt, ihr, Klara, die Haare zu Zöpfen zu flechten. Zeit wird auch verstanden über die Weitergabe von Wissen!








Svenja Rehse: Warum







Warum-Fragen. Generalisierung. Natur-Wissenschaft

WARUM? (3-)

Eine Situation ist mir besonders in Erinnerung zum frühen "Warum". Wir waren auf einer blühenden Frühlingswiese, die Karthäusernelken interessierten Klara. Sie erkannte auch an geschlossenen Blütenknospen die Blume korrekt. Als ich fragte, wo sie Karthäusernelken sehe, erkennt sie die auch bei geschlossenen Blüten: "Die auch!". Ich erklärte ihr, dass die Blüten nicht alle auf einmal aufgehen. Und da traf mich das "Warum?" ganz unerwartet. Als Erwachsener hält man es ja für vollkommen selbstverständlich, dass Blumen nicht alle auf einmal blühen. Doch warum eigentlich?

Ich antwortete (in brav teleologischer Manier) mit: "Damit die Bienen länger etwas zu essen haben." Ihre Reaktion war interessant und zeigte, wie selbstverständlich für Kinder die teleologische Naturerklärung ist und dass Klara wirklich etwas über die Welt erfahren wollte mit diesem "Warum". "Aaah, ach so! Ja! - Und die Ameisen auch, und die Fliegen!"

Die ersten "Warum"-Fragen kommen mit dem "Warum" alleine aus - sind allerdings keine Einwortfragen wie etwa das oben genannte "Essen?" mit einem Jahr. Was der Erwachsene zuvor gesagt hat, liefert den Bezug und die Ergänzung des "Warum". Mit "Warum" fängt das kindliche "Fragealter" um den dritten Geburtstag herum offiziell an, die Kinderliteratur und die Internetforen sind voll davon.

Die "Warum-"Fragen sind in der Tat etwas Besonderes, sie haben andere Funktionen als die früheren Fragen nach "Wo", "Wer", "Was". Das Kind will damit auch die Beziehungen von Ursache und Wirkung begreifen lernen oder die Motivationen von Menschen (warum tun Erwachsene bestimmte Dinge, Unkraut jäten z.B.) und die Gründe für Dinge, die es beschäftigen ("Warum kommt der Papa heute nicht?" - "Er arbeitet noch.").

An die Warum-Fragen schließt sich der Gebrauch von Modalwörtern der Wahrscheinlichkeit an. Nun begegnet das Kind in den Erwachsenenantworten häufig einem "vielleicht", "wahrscheinlich" und ähnlichen Ausdrücken. Auch in seinen eigenen Antwortvorschlägen setzt es diese dann ein.

Klara war mit ihrem "Warum" in der ersten Zeit seines Auftretens zwischen zweieinhalb und dreieinhalb Jahren sehr sprachökonomisch und hat es lange alleinstehend verwendet - wie viele Kinder, was die Erwachsenen oft sehr beansprucht, insbesondere bei unermüdlicher Wiederholung. Wobei ich nicht immer wußte, ob das Kind nur weitere Informationen wollte, die Kommunikation am Laufen halten oder das Fragewort üben. Als dieses Fragewort dann mit Fünf wieder gehäuft auftrat, geschah dies zumeist in Satzform.
 

Svenja
                  Rehse: Wo kommen die Popel her?









Wissenschaftliche Fragen. Körperbild

WO KOMMEN DIE POPEL HER? (3-)

Klara sitzt im Kinderwagen und popelt. Dann betrachtet sie aufmerksam einen Popel und fragt "Wo kommen die Popel her?"

Mit der Antwort "aus der Nase" ist sie nicht zufrieden. Es war also eine tiefer suchende Frage. Ich erklärte ihr die Nasenflüssigkeit, die sie ja vom Nase putzen kennt, und dass die manchmal dicker ist und fest wird, wenn sie trocknet. Damit ist sie zufrieden, betrachtet den Popel in der Hand mit neuen Augen.

Die Feststellung von Kant, dass jeder Erkenntnis Beobachtung vorausgehe, Sinneswahrnehmung, wird hier greifbar. Die Sinneswahrnehmung führt zur Frage, weitere Wahrnehmungen (Nasenschleim, der manchmal dicker ist, der im Taschentuch trocknet etc.) führen zur Antwort. Und es ist kein Zufall, dass Fragen wie diese gleichzeitig mit den ersten Warum-Fragen auftauchen. Das Interesse an Zusammenhängen tastet sich an verborgenen Herkünften und Ursachen entlang. Charakteristisch ist, dass hier nicht gefragt wird "Was sind Popel?" oder "Woraus sind Popel?", sondern "Wo kommen Popel her?". Die Frage "Was sind Popel?" gehört in diesem Altern noch in einen ganz anderen Kontext, nämlich den des Semantikerwerbs. "Wie entsteht ein Popel?" ist eine Frage älterer Kinder oder Erwachsener.

Als Beginn der Wissenschaft im Kindesalter wird im Anschluss an Freud gerne die Frage genommen "Woher kommen die kleinen Kinder?". Ich finde die Frage "Wo kommen die Popel her?" auch nicht schlecht als Kandidat. Eine "Freudsche" Parallele ist der Bezug zur eigenen Körperlichkeit. Die Frage nach der Herkunft der Kinder hat heute wohl nicht mehr die Relevanz, die sie früher einmal hatte. Zumeist wird dem Kind recht früh erklärt, warum z.B. bestimmte Frauen so dick sind (schwanger, Baby im Bauch) und dass es selbst aus dem Bauch der Mama gekommen sei.

HIer kann auch der Zusammenhang mit Erkältungen erklärt werden, kann vermittelt werden, wann wir besonders viel (Kältereiz), wann besonders zähen (Infektionen) Nasenschleim absondern. Spannend für Kinder kann auch die Erklärung sein, dass im Popel die Bakterien gefangen sind und der Schmutz aus der Luft.

Eine durchaus ernst gemeinte Studie des Biochemikers Scott Napper an der Universität Saskatchewan sollte 2013 klären, ob der (bei Kindern und auch manchen Erwachsenen zu beobachtende) Verzehr von Popel das Immunsystem stärke. Ein Ergebnis lag Anfang 2016 noch nicht vor. In Anbetracht des ohnedies regelmäßig über den Rachenraum in den Magen gelangenden Nasensekrets dürfte dieser Nachweis auch kaum Popel-spezifisch gelingen.



Svenja Rehse: Das ist ein schickes Kleid, 2018











Indirekte Fragen. Geschmacksurteile. Soziales Einverständnis. Wortbedeutungslernen

DAS IST EIN SCHICKES KLEID!? (3)

Wir sehen eine Hochzeitsgesellschaft. Besonders ein weißes Damenkostüm hat es Klara angetan, vermutlich ist die Trägerin die Braut. Ihr Satz ist einerseits ganz selbstbewusst vorgetragen, aber ein kleines Fragezeichen ist doch zu erkennen.

Ich bestätige, dass dies ein schickes Kleid sei. "Gefällt es dir auch?", will sie wissen. Obgleich das Kostüm nicht ganz meine Geschmackspräferenzen trifft, bejahe ich, denn ihr Entzücken ist unübersehbar, das möchte ich nicht trüben. In anderen Situationen erkläre ich natürlich auch, wenn ich ihren Geschmack nicht teile.

Das Kind will hier zweierlei, einerseits das Wort "schick" erproben, das es wohl noch nicht so lange kennt. Und darüber hinaus Geschmacksurteile austauschen, primär mit dem Ziel des Einverständnisses. Obgleich es durchaus schon weiß und akzeptiert, dass es unterschiedliche Geschmacksvorlieben gibt. Und es stellt mir zu dieser Zeit auch einmal vor einem Schaufenster die Frage direkt "Ist das ein schickes Kleid?".

Dass auch Geschmacksurteile sozial gelernt werden, wird hier unmittelbar greifbar. Aber früh lernt das Kind auch, dass es unterschiedliche Geschmacksurteile für die gleiche Sache gibt und dass Urteile sich auch beim Individuum selbst ändern. "Rosa ist nicht mehr meine Lieblingsfarbe" bekennt Klara später mit sechs Jahren. Und zwar mit dem deutlichen Bewußtsein, dass dies auch einen Abschied von einem Gruppenphänomen bedeutet: "Kleine Mädchen mögen alle Rosa!"

Die Toleranz für anderslautende Urteile wächst mit dem Alter, aber das Bedürfnis nach Übereinstimmung bleibt. Was wir ja auch von Erwachsenen kennen. Davon zehren noch Partnerschaftsplattformen im Internet, die "Übereinstimmungsprofile" erstellen nach Musikvorlieben und dergleichen.

Weder allzu eifrige und freundlich gemeinte Übereinstimmung mit den Geschmacksurteilen der Kinder, noch überhebliches Herausstellen des eigenen, vermeintlich "reifen" Geschmacksurteils sind hier hilfreich. Aufmerksamkeit für die Reaktionen des Kindes auf die eigene Antwort ist sinnvoll. Die Entwicklung eigener Geschmacksurteile ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung des Kindes, der freundlich begleitet werden sollte, weder forciert angeschoben, noch kritisch abgebremst.

Für die Sprachentwicklung zeigt diese Frage die Bedeutung von Anwendungsbedingungen für die Ausbildung semantischer Felder. Impliziert ist ja auch die Frage, wann Erwachsene etwas "schick" nennen.


Svenja Rehse: Ist das jetzt Sieben









Verabredungen. Zahlen. Uhrzeit

IST DAS JETZT SIEBEN? (3+)

Das Kind möchte am frühen Abend wissen, wann die Mama nach Hause kommt. Ich sage, um Sieben. Sie zeigt auf die Uhr und fragt "Ist das jetzt Sieben?". Die Zeiger stehen etwa auf sechs Uhr.

Ich erkläre ihr den Unterschied von großem und kleinem Zeiger und wo der kleine Zeiger stehen muss, wenn es sieben Uhr ist. Sie nickt und wechselt dann rasch das Thema. Noch ist ihr die Uhr nicht ganz geheuer.

Klara zählt schon seit einiger Zeit fleißig, kommt bis vierzehn bei Objekten und auswendig zählend gelegentlich über zwanzig. Gleichzeitig entwickelt sich auch das Interesse an Zeit. Allerdings hat sie noch keine Vorstellung von zeitlichen Dimensionen. Ein Satz aus dieser Zeit ist: "Das ist mir zu lang!", bezogen auf die Auskunft, die Mama komme in 10 Minuten. Ihr Zeitabläufe auf der Uhr zu demonstrieren, stößt nur auf verhaltenes Interesse, gelegentlich auch auf Ablehnung. Erst mit Fünf entwickelt sich ein etwas vertrauteres Verhältnis zu Uhren.

Interessanterweise ist das Kind in dieser Zeit, zum Ende des vierten Lebensjahres, auch an klaren inhaltlichen, allerdings nur vage auf eine Zeit bezogenen, Verabredungen interessiert - die sie allerdings ohne Scheu dann über den Haufen wirft. Also etwa Verabredungen am Morgen darüber, was sie am Nachmittag tun möchte. Mit Fünf wird die Uhrzeit dann allmählich zu einer greifbaren Größe für sie.

Der Umgang mit der Uhr wird auch durch einige keineswegs selbsterklärende strukturelle Besonderheiten unseres Zeitmesssystems erschwert, an die Erwachsene sich längst gewöhnt haben, die Kinder aber irritieren können. Zum einen ist das Zeitsystem nicht, wie andere Messsysteme in Mitteleuropa, dezimal organisiert. Zum anderen wechselt es auch noch die Gliederungsstruktur von 24 Stunden auf 60 Minuten pro Stunde und weiter herunter 60 Sekunden für eine Minute. Und damit nicht genug, misst der "kleine" Zeiger bei konventionellen Uhren die "große" Einheit, nämlich die Stunden, der "große" Zeiger aber die Minuten!






Svenja Rehse:
              Was haben wir falsch gemacht?








Kommunikative Fragen. Fehlerkompetenz


WAS HABEN WIR FALSCH GEMACHT? (4-)

Wir wollten vor einigen Wochen zusammen Waffeln backen und das ging gründlich daneben. Die Gründe waren die üblichen: Eisen zu heiß oder nicht heiß genug, zuviel oder zu wenig Fett ..... Heute kamen wir wieder in die Küche und da stand das Waffeleisen. Klara ganz rasch, aber fast geflüstert "Heute machen wir keine Waffeln!?", dann "Haben wir falsch gemacht!" und dann "Was haben wir falsch gemacht?"

Einer von den Sätzen, die dazu verleiten, dem Kind mehr Kompetenzen zuzusprechen als es bereits hat. Nur ein leicht schwankender Unterton verriet, dass sie keine Vorstellung davon hatte, was man beim Waffelbacken falsch machen kann. Womit sie sich nicht so sehr von vielen Erwachsenen unterscheidet, wie man in einschlägigen Foren nachlesen kann.

Eine wichtige Kompetenz offenbart der Satz ganz deutlich und gewiss. Die Kompetenz, alltägliche Dinge wie Tee kochen und Autofahren nicht mehr als selbstverständlich hinzunehmen, ein erstes Gefühl für die Komplexität dessen, was die Erwachsenen da so Tag für Tag treiben. Verbunden mit der Lust, älter zu werden und Dinge zu "dürfen", kommt hier eine erste Ahnung davon, dass Kindsein auch ein Privileg ist und eine Chance, Fehler auch noch im Alltäglichen zu machen. Verbunden mit der Erleichterung darüber, dass auch Erwachsene im Alltag noch gelegentlich etwas falsch machen - eingebunden in diesem anrührenden "Wir".

Fehler zu erkennen, zu bekennen und an Verbesserungen zu arbeiten, ist das eine; die Kompetenz, "Fehler" als Kategorie in das eigene Weltbild zu integrieren, geht dem jedoch voraus - und diese entwickelt das Kind nun. Das ist keine Selbstverständlichkeit und viele Eltern überfordern ihre Kinder damit, Fehler zu reklamieren, ehe das Kind überhaupt begreift, dass unter den vielen Möglichkeiten, Dinge zu tun, manche nicht zum gewünschten Ergebnis führen und dies analysierbar ist.

Und darüber hinaus zeigt der Satz, genauer: die Folge der oben zitierten drei Sätze eine enorme rhetorische Kompetenz, komplexe Kommunikationen zu führen, Implikationen eines Satzes zu explizieren. Auch Ansätze zur sachlichen Selbstkritik und zu bewußten Lernprozessen sind erkennbar, noch im Kollektiv formuliert, wie zumeist in diesem Alter. Und dieses "wir" hier meinte keineswegs eine Negation im Sinne von "ich war das nicht", sondern Solidarität!


Svenja Rehse: Ist das giftig?









Sterblichkeit. Kochen. Backen. Braten

IST DAS GIFTIG? (4-)

Zum ersten Mal stellt Klara diese Frage kurz nach ihrem vierten Geburtstag. Und zwar zu einer angebrannten Rosine auf einer Rosinenschnecke. Der Geschmack ist bekannt: Bitter. Eine Geschmacksnote, die Klara in diesem Alter eigentlich mag. Aber nicht bei einer angebrannten Rosine.

Es folgte ein längeres Gespräch über angebrannte Rosinen, Geschmacksveränderungen durch Braten, Giftstoffe die beim Verbrennen entstehen oder beim Kochen verschwinden und giftige Pilze, die immer giftig sind, und solche, die beim Kochen ihr Gift verlieren.

Auf den ersten Blick ist das keine sonderlich interessante Frage. Menschheitsgeschichtlich allerdings schon. Ohne diese Frage und ihren Kontext hätten wir wohl kaum überlebt. Dass Klara diese Frage zu einer Rosine stellt, ist bemerkenswert. Denn natürlich gehören Rosinen für sie zum Bereich des Essbaren. Mir vier Jahren ist ihr also deutlich, dass auch Essbares nicht immer sicher zu essen ist. Und sie orientiert sich dabei am Geschmack - der bei angebrannten Rosinen in der Tat grauenvoll ist.

Sicherlich ist der Geschmack kein zuverlässiger Indikator, was Giftigkeit betrifft, dennoch sollten Kinder grundsätzlich ermutigt werden, auf ihre Geschmacksurteile zu vertrauen. Was natürlich nur Sinn macht bei einer vernünftigen Ernährung auch der Eltern und einer frühen Geschmackserziehung durch anständiges Obst und Gemüse, mal einem Sennerei-Käse auf dem Tisch, durch Kennenlernen von Kräutern und Gewürzen oder allgemein das, was Slow Food inzwischen in die Kindererziehung einzubringen sucht: differenzierte Geschmackserfahrung jenseits von süß, salzig und fett.

In diesem Alter interessiert Klara sich auch sehr für den Unterschied zwischen giftigen und essbaren Pilzen, vermutlich auch dank Pippi Langstrumpf. An "giftig" interessiert sie vor allem, ob man daran sterben kann. Das macht Pilze besonders aufregend, auch wenn sie immer noch nicht wirklich versteht, was Sterben bedeutet, die Endgültigkeit daran - zumindest für das irdische Leben. Sie ist nach wie vor davon überzeugt, dass Pippi Langstrumpf Fliegenpilz essen konnte, weil sie kein "normaler" Mensch ist. "Wir können das nicht!"



Svenja Rehse: Da ist der Mond, 2018







Implizite Fragen. Wahrnehmungswelt. Kohärenz

DA IST DER MOND/WARUM IST DER MOND AM TAG DA? (4-)

Klara ruft ganz begeistert bei einem Stadtbummel: "Da ist der Mond!" Und in der Tat, eine ganz dünne Sichel steht da zwischen den Hausdächern, kaum wahrzunehmen. Sie, nochmals, etwas verlegen wegen ihrer Begeisterung, zumal ich nicht in ähnliche Begeisterung ausgebrochen bin, leise: "Da ist der Mond." Und als wolle sie begründen, warum sie so begeistert sich äußerte: "Wo aber doch gar nicht Nacht ist!?" Die eigentliche Frage bleibt unausgesprochen, ist aber deutlich: "Warum ist der Mond am Tag da?".

Ich erkläre ihr, dass der Mond oft tagsüber da sei, man ihn aber meist nicht sehen könne, weil der Himmel so hell ist oder Wolken vor dem Mond stehen. Das akzeptiert sie als Erklärung, als habe sie sich schon Jahre mit Astronomie beschäftigt! Also auch in diesem Alter ist durchaus schon die Fähigkeit und Bereitschaft da, "naturwissenschaftliche" Argumentationen anzunehmen, es muss kein Mann im Mond herhalten und der Mond muss auch nicht sonstig anthropomorphisiert werden.

Vergegenwärtigen wir uns, wie Kinder den Mond kennenlernen. In Bilder- und Liederbüchern ist er eng mit der Nacht verbunden. Kein Bilderbuch zeigt ihn bei Tage, in keinem Kinderlied wird sein Erscheinen bei Tage besungen. In "Der Mond ist aufgegangen" wird er sogar ganz analog zur Sonne, die den Tag "macht", als Macher der Nacht dargestellt. Dennoch nimmt Klara die naturkundige Erklärung sofort an, will nicht wissen, warum der Mond tagsüber nicht "schlafe" (im Wechsel mit der Sonne) oder ähnliches.

Als Beleg für eine Phase in der Entwicklung von Kleinkindern, die naturwissenschaftlichen Erklärungen distanziert entgegenstehe, wird z.B. angeführt, dass ein Kind der Meinung sei, die Mama sei krank, weil das Kind böse war. Solche Vorstellungen aber finden sich bis ins Erwachsenenalter - und es gibt faktisch zahlreiche Menschen, die krank sind, weil ein anderer "böse" war, ganz ohne Magie. Die "magische" Erklärung ist nur eine unter vielen, die das Kind ausprobiert, solange es keine bessere Erklärung hat. Und je lebhafter die Phantasie eines Kindes ist, umso kühner sind diese Entwürfe. Sobald Kinder für Naturphänomene naturkundlich basierte und plausible Erklärungen angeboten bekommen, nehmen sie diese nach meiner Erfahrung bereitwillig an.

Svenja
                  Rehse: Womit stechen die Bienen?









Naturforschung. Religion

WOMIT STECHEN DIE BIENEN? (4-)

Das Kind findet eine tote Biene und betrachtet sie interessiert. "Womit stechen die Bienen?", fragt es. Ich zeige auf das Körperende der Biene, "da sitzt der Stachel".

Dass die Biene "mit dem Po" sticht, findet das Kind zwar interessant, aber wenig einleuchtend, da man dort keinen Stachel sehen kann. Es untersucht die Biene, findet am Kopf den Saugrüssel und meint: "Damit stechen die Bienen!" Ganz klug.

Ich erkläre ihm die Funktion des Saugrüssels und dass der Stachel "am Po" versteckt sei und nur rauskomme, wenn die Biene stechen will. Ich zeige ihm auch, wie sanfter Druck am Hinterleib der toten Biene den Stachel herauskommen lässt. Und mache es darauf aufmerksam, dass im Stachel noch immer Bienengift sitze, auch bei der toten Biene.

Um den vierten Geburtstag herum erwacht bei vielen Kindern das Interesse an Naturphänomenen. Die soziale Welt ist einigermaßen sortiert und verlässlich, es gibt die ersten stabileren Freundschaften, die sprachliche Entwicklung ist soweit gediehen, dass komplexe Kommunikation stattfinden kann. Und sie haben auch schon die ersten "barocken" naturkundlichen Sammlungen von Steinen, Muscheln, Blumen, Hölzern etc., je nach Temperament, angelegt.

Nun kommen gezieltere Fragen nach Zusammenhängen im Naturgeschehen. Dabei werden bereits verschiedene Beobachtungen und Wissensbestände miteinander verknüpft, gesteuert von praktischen Erwägungen und dem unmittelbar Einsichtigen. Oftmals begegnet in diesem Alter ein sehr dezidierter Pragmatismus. "Die Biene muss stechen, damit man sie nicht totmacht!"

Das heißt nicht, dass beim Spiel nicht weiterhin, ja gerade jetzt, gezaubert wird oder unvermittelt eine Fee auftaucht. Das heißt aber, dass es, wie die meisten Erwachsenen ja auch, vorwiegend dort zu magischen, religiösen oder sonstig nicht experimentell belegbaren Wirkungs- und Ursachenerklärungen greift, wo es keine Beobachtungsdaten zur Verfügung hat. Es lebt von nun an mit dem
Nebeneinander von rational-naturkundlicher Erklärung und religiöser Auffassung. Der Stachel der Biene gehört in den einen Bereich, ihr Tod in den anderen.
Und so begräbt das Kind die Biene und erzählt vom lieben Gott, der die Biene wieder lebendig mache. "Aber nicht gleich." "Das dauert ganz, ganz lang!" Implizite formuliert das Kind hier auch anspruchsvolle theologische Fragen, etwa die, ob eine "Auferstehung des Fleisches" auch für Tiere gelte.


Svenja Rehse:
              Was essen die Toten?











Ernährung. Tod und Auferstehung

WAS ESSEN DIE TOTEN? (4-)

Einige Tage später begrub das Kind mit mir zusammen eine Maus. Dabei stellte es mir die Frage "Was essen die Toten". Ich war irritiert und sortierte erst einmal meine Gedanken. Da erklärte mir das Kind schon, was man unter der Erde essen könne: "Da gibt es Kartoffeln!" Und es ergänzte: "Und Karotten und Rüben!"

Ich hatte dem nichts hinzuzufügen. Das Kind hatte eine eigene Lösung gefunden, die widersprüchlichen Informationen zum Todesthema aus Religion und Lebensalltag miteinander zu verbinden. Die akzeptierte ich.

Hinterher erfuhr ich von den Eltern den Hintergrund der Frage. Als die Eltern von einer Beerdigung zurückgekommen waren, fragte das Kind "Was essen die Toten?". Die Mutter antwortete ihm eher vage, dass die Toten ja die Kartoffeln essen könnten, die im Boden sind. Ich hätte diese Antwort nicht gegeben, finde den Umgang des Kindes damit aber überzeugend und hilfreich.

Seine Lösung ist durch und durch pragmatisch und an Kohärenz orientiert. Einerseits hatte es gelernt, dass Tote im Boden begraben werden. Aus seinem religiösen Umfeld hatte es von der Auferstehung Christi erfahren und dass Gott die Toten wieder lebendig machen könne. Daraus hatte es für sich geschlossen, dass die Toten im Boden nur versteckt sind und irgendwie weiterleben. Und dann müssen die natürlich auch etwas essen. Diese Stimmigkeit sollte man dem Kind nicht vorschnell nehmen.
Zu religiösen Vorstellungen kommen Kinder wohl primär durch die kulturelle Erziehung, nicht aus einem irgendwie "ursprünglichen" Empfinden. Religiöse, magische, mythische Vorstellungen sind avancierte Kulturleistungen, nicht Ausdruck eines "kindlichen Denkens". In solchen Vorstellungen von einer ursprünglichen Religiosität des Kindes wirkt C.G. Jungs Konzeption von den "zwei Arten des Denkens" mit ihrer Parallelisierung von Ontogenese und Phylogenese nach, die nachgewiesen falsch ist.

Das Kind ist aus eigener Überlegung eher pragmatisch. Bei Rollenspielen versichert es sich und dem Erwachsenen gerne, es sei jetzt z.B. Pippi Langstrumpf "nur im Spiel". Auch wenn nach seinen Vorgaben ein Ding etwas anderes ist als in Wirklichkeit (ein Stock ein Pferd z.B.) betont es häufig, das sei "nur Spiel".

Svenja Rehse: Ist der Joe Cocker sauer








Übertragene Bedeutungen. Sinnesbegriffe. Stimme und Psyche

IST DER (JOE COCKER) SAUER? (4-)

Joe Cocker Fans, weghören! Mich hat die Frage auch etwas erschüttert, im Autoradio lief ein Lied von ihm, wir standen auf einem Parkplatz, Klara saß hinter mir im Kindersitz und fragte "Ist der sauer?". Was meinte sie, hatte sie eine Synästhesie, empfand sie die Stimme als "sauer"? Oder meinte sie es eher im Sinne von "schlecht gelaunt"?

Ich sagte, das sei ein Sänger mit einer ungewöhnlichen Stimme, die höre sich vielleicht für sie eigenartig an, ob sie die möge? Sie schüttelte den Kopf. Ich erzählte, dass der Sänger sich in seinem Leben oft geärgert habe. Sie: "Jetzt auch?". Dem folgte eine längere Unterhaltung über Sänger, Autoradio, CDs, Süßigkeiten.

Wie ich später von ihr erfahren habe, sei im Kindergarten eine Erzieherin "sauer" über ein Kind gewesen, das absichtlich Farbe auf den Boden geschüttet hatte - und die Erzieherin hat das auch so formuliert: "Jetzt bin ich aber sauer!". Und irgendwie muss die Kindergärtnerin dabei so geklungen haben wie Joe Cocker. Etwas heiser vielleicht. Und nun kann ich nie wieder Joe Cocker hören ohne zu denken, ja, irgendwie klingt der sauer. War Joe Cocker schlecht gelaunt, hatte man ihn absichtlich geärgert? Nun ja, Suchtprobleme gab es, Cocker hat sich gelegentlich geprügelt und dass seine Ranch "Mad Dog Ranch" heißt, lässt auch nicht auf eine ausgeglichene Psyche schließen. Da hat Klara vielleicht einen auf Anhieb richtig eingeschätzt.
Für ein Kleinkind ist die "eigentliche" Bedeutung der Wörter noch nicht stabil. "Sauer" etwa benennt noch ein diffuses Feld unterschiedlicher Anwendungsbereiche, mit noch zu erprobender Semantik, deren Bogen sich von den sauren Drops über die saure Milch bis zur "sauren" Erzieherin spannt. Daher kann es auch noch nicht mit "übertragenen" Bedeutungen souverän umgehen. Zudem sind Adjektive für Sinneswahrnehmungen noch nicht stabil einer fixen Kategorie von Sinneswahrnehmungen zugeordnet. "Laut" kann schon mal eine Farbe sein und "bunt" ein Lied. Und dahinter muss nicht immer eine synästhetische Erfahrung stehen.

Einige Jahre später sollte ich von ihr in eine wochenlang sich hinziehende Debatte über die "Verrücktheit" von Lady Gaga verwickelt werden. Ob die verrückt sei, warum die verrückt sei, ob sie "wirklich" verrückt sei, ob sie nur verrückt spiele, was denn "verrückt" bedeute, dass ihre Kleidung bestimmt verrückt sei. Semantik ist auch eine Frage der Anwendungsbedingungen und der Anschauungsnähe, das wird bei Kindern im Spracherwerb immer wieder sehr deutlich.



Was heißt
              eigentlich Salon









Frage-Rhetorik. Wortschatz

WAS HEIßT EIGENTLICH 'SALON'? (4)

In einer Pippi Langstrumpf-Geschichte taucht das Wort 'Salon' auf. Die Geschichte wurde dem Kind schon oft vorgelesen, nun fragt es zum ersten Mal "Was heißt eigentlich 'Salon'?".

Ich erkläre mit dem Hinweis auf das gebräuchlichere Wort 'Wohnzimmer' und mache das Kind darauf aufmerksam, dass der Ausdruck 'Salon' altertümlich sei und heute nur noch besonders schöne oder große Wohnzimmer meine.

Das Kind nickt zur Erklärung verständnisvoll-interessiert. Es begreift in diesem Alter allmählich, dass die Sprache mehrere Ausdrücke für die gleiche Sache kennt, dass es unterschiedliche Stilebenen gibt mit einem spezifischen Wortschatz und dass auch Sprache eine Geschichte hat. Zu "Salon" meint sie nach der Erklärung: "Das gefällt mir, 'Salon', das ist schön!". Sprache wird auch zu einem ästhetischen Phänomen nun, wobei mir nicht klar war, ob sie den Klang von "Salon" meinte oder eher schätzte, dass dieses Wort nicht so gebräuchlich und etwas altmodisch ist, oder schätzte, dass es besonders schöne/große Wohnzimmer bezeichnet.

Bemerkenswert ist hier die gezielte Frage nach Wortschatz, nach einem Wort, das sie schon gelegentlich gehört hat, allerdings wohl nicht im Alltag. Interessant ist auch, dass sie mit einem Muster fragt, das sie von Erwachsenen kennt, das im Kindermund etwas seltsam wirkt, altklug. Denn der rhetorische Gehalt von "eigentlich" ist der Altersstufe kaum zugänglich. Die Formel wiederholte sie auch nur höchst selten.

Kurz nach dem siebten Geburtstag erklärte mir das Kind einmal leicht genervt "Du verwendest immer so komplizierte Wörter!" Es ging um die Wörter "Adapter" und "Optik". Das Kind war gerade gar nicht mehr begeistert über interessante neue Wörter, sondern bemüht, seinen bestehenden Wortschatz besser zu verstehen und zu organisieren, fragte mich z.B., "was bedeutet eigentlich 'Mörder'?". Die Wissensexplosion dank Schule, der Anspruch, nun Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, führte es im Bereich der Sprache zu einer gewissen Askese, es wollte nun hier ein klares Fundament.
 


Was ich
                  schon lange mal fragen wollte









Fragemuster. Gedächtnis. Veränderung

WAS ICH SCHON LANGE MAL FRAGEN WOLLTE ... (4)

Wir gingen durchs Treppenhaus, auf dem Treppenabsatz vor der Wohnung von Klaras Eltern steht ein Schrank, auf dem Kindersitze und Tragegestelle abgelegt sind. Klara schaut hoch und wollte "schon lange mal fragen", wo ihr blaues Tragegestell hingekommen sei, das früher einmal dort lag.

Ein Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen, ob dieser Floskel. Dazu antwortete ich sachentsprechend, dass sie für den Tragerucksack ja schon zu groß sei und die Eltern den vielleicht schon an andere Eltern weitergegeben haben. Dann fragte ich noch zurück, ob sie denn den Rucksack schon lange vermisse. Sie nickte eifrig.

Klara hat offensichtlich verstanden, dass diese Frageformel nur einen engen Anwendungsbereich hat. Sie markiert das auch durch ihr eifriges Nicken auf meine Frage, ob sie den "schon lange" vermisse. Ich habe die Formel bei ihr dann nicht wieder gehört. Vermutlich hat sie auch verstanden, dass es sich um eine Einleitungsfloskel handelt, die im Privatbereich eher dysfunktional ist.

Sie entwickelt in diesem Alter auch ein erstes Gespür dafür, dass jemand "etwas gar nicht so meint" wie er oder sie das sagt. Dass es Höflichkeits- und Überbrückungsfloskeln gibt, Gesprächseinleitungen in sozial unklaren Beziehungen, die man nicht zu wörtlich nehmen darf. Dazu gehört auch die oben unter dem Stichwort "sauer" angesprochene Verwendung von Wörtern in übertragener Bedeutung.

Der Gebrauch floskelhafter Wendungen ist charakteristisch für fortgeschrittene Stufen des Spracherwerbs, ab etwa drei Jahren. Kinder dieser Stufe (teilweise in entsprechendem Umfeld auch schon weit früher oder später) prägen sich auch komplexere Sprachformeln korrekt ein und erproben die dann in Kontexten, die ihnen geeignet erscheinen. Es kann durchaus sinnvoll sein, ihnen in solchen Fällen auch eine kleine Erklärung - oder weitere Beispiele - zu geben, wann die Formel sinnvoll ist. Wenn sie das überfordert, signalisieren sie das schon durch Desinteresse.

Wichtig ist es bei solchen Sprachleistungen des Kindes nicht zu lachen. Kinder in dieser Phase des "noch nicht groß und nicht mehr klein" sind besonders empfindlich, wenn sie das Gefühl haben, zum Anlass eines Lachens zu werden - auch wenn es ein freundliches Lachen ist. Ab Sechs, Sieben sind sie da weit selbstbewußter. Und lachen auch mal über Erwachsene, "Papa/Mama/Oma, was hast du denn da gemacht!" - Oh!".



Svenja Rehse: Dürfen die das, 2018







Erlaubnis-Verbot. Sozialbeziehungen bei Tieren. Kannibalismus

DÜRFEN DIE DAS? (4)

Feuerwanzen haben sich über einen toten Artgenossen hergemacht und waren dabei, den aufzufressen. Klara beobachtete das aufmerksam und fragte mich "Dürfen die das?".

Ich erklärte ihr, dass viele Tiere ihre toten Artgenossen auffressen. Sie fragte erneut, ob die das dürfen. Ich fragte zurück: "Wer soll das verbieten?" Klara: "Die Feuerwanzenmama!"

Bei dieser Altersstufe ist eine starke Ambivalenz auffallend zwischen Eigensinn einerseits, dem Ernstnehmen von Verboten andererseits. Das "wohlerzogene" Kind kann abrupt tauschen mit dem äußerst widerspenstigen. Bezugspersonen sollten beides nicht überbewerten, sondern einfach auch stehen lassen können.

Im vorliegenden Beispiel bezieht sich die Erlaubnisfrage auf einen Dritten, auch dies ist häufig in dieser Entwicklungsstufe, "dürfen die das" - die Radfahrer auf dem Bürgersteig, die Raucher am Bahnsteig und andere, bei denen das Kind den Verdacht hat, sie verstoßen gegen Gebote. Und nun die Feuerwanzen. Das Kind signalisiert, dass es Probleme mit Kannibalismus hat - eine durchaus nachvollziehbare Einschätzung. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Kind noch davon ausgeht, der "liebe Gott" könne tote Tiere, die begraben wurden, irgendwie irgendwann wieder lebendig machen.
Es hat von der Auferstehung Christi und auch vom "jüngsten Gericht" als Tag der Auferstehung gehört, erzählt bekommen. Und es hat dies auch schon selbst ausgesprochen, siehe die Frage "Womit stechen die Bienen?".
Und noch gehen Menschenwelt und Tierwelt für sie ineins, die Bilderbücher bestätigen dies ja auch immer wieder. Noch ist es damit beschäftigt, die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren zu begreifen. Wenn Tiere einander auffressen "dürfen" betrifft das auch ihr Bild vom Menschen.

Und wieder einmal habe ich hier erlebt, wie wichtig Rückfragen sind. Mit dem Verweis auf die "Feuerwanzenmama" in ihrer Antwort hat sie eine Erfahrung für sich konkret gemacht und ich habe etwas erfahren über ihre Weltsicht. Die Antwort hätte ja auch lauten können "der liebe Gott" oder "die anderen Feuerwanzen". Soziale Regeln und deren Durchsetzung sind ein Thema dieses Alters, und dazu gehört auch das "Petzen" in dieser Phase.

  

Wo ist
                  mein Land










Geographie. Mein. Zuhause

WO IST MEIN LAND? (4)

Auf dem Globus wollte das Kind "sein" Land gezeigt bekommen. Es meinte Deutschland, nicht das Bundesland Baden-Württemberg, aber die Vorstellung davon war noch höchst diffus und überlagerte sich auch mit der Vorstellung vom eigenen Wohnort.

Der Erwachsene zeigte die Umrissen von Deutschland, zeigte aber auch, wo ihre eigene Stadt lag und wo der Wohnort der Großeltern. Beim Wohnort der Großeltern fragte das Kind "Ist das das Land von Opa und Oma?".

Bei dieser Frage kann der Erwachsene lernen, wie schwierig doch die Begriffe der Geographie sind und wie nachvollziehbar es auch ist, dass die Menschheit lange Zeit auf einer Scheibe zu leben meinte. Der Globus kann vom Kind noch nicht konzeptionalisiert werden. Städte, Flüsse und Länder reichen als erste Begriffe noch vollkommen aus. Selbst der Begriff von Bundesländern überfordert in diesem Alter zumeist und Erwachsene sollten damit abwarten, bis einschlägige Fragen kommen (auch etwa zu Europa).

Der Umgang mit dem Globus, mit Landkarten und Stadtplänen wird noch lange problematisch bleiben, das Abstraktionsniveau ist schlichtweg zu hoch für die kindliche Vorstellungskraft und es fehlen auch noch die bewußten geografischen Erfahrungen durch Reisen. Anknüpfungspunkte sind Fahrten zu den Großeltern und Urlaubsreisen, können auch Reisen von Bezugspersonen sein. "Hier ist der Papa gerade auf Dienstreise" kann gut genutzt werden, um den Globus oder einen Atlas einzusetzen - verstanden wird das allerdings erst viele Jahre später.

Das besitzanzeigende Pronomen ist hier ganz selbstverständlich, meine Mama, mein Papa, mein Haus, mein Fahrrad, meine Freundin. Und nun "mein Land". Das sind Ausdrücke, die Sicherheit bieten. "Car sharing" oder Ähnliches ist für kleine Kinder noch nicht sonderlich attraktiv, so wenig wie Schaufel-Sharing auf dem Spielplatz.




Svenja Rehse:
              Haben Bäume Muskeln











Mensch-Pflanze

 
HABEN BÄUME MUSKELN? (4)

Wir kamen bei einem Spaziergang zum Zoo an einem Vorgarten vorbei, dessen metallische Einfassung, eine Art Geländer, samt tragender Mauer verbogen war durch einen Baum, der sich zum Gehweg hin ausbreitete. Klara sah das verbogene, teilweise geborstene Geländer, die schiefe Mauer und fragte, was da passiert sei. Ich erklärte, dass der Baum Mauer und Geländer zur Seite gedrückt habe. Klara schaut, überlegt, fragt: "Haben Bäume Muskeln?"

Eine sehr kluge Frage, die mehr verdient hat als nur ein "natürlich nicht, Muskeln haben nur Menschen und Tiere". Denn das Problem lautet ja: Wie schafft es der Baum, das Geländer wegzudrücken?
Ich erklärte, dass der Baum Holzfasern habe, die auch wachsen wie Muskeln, nur sehr viel langsamer. Aber sie können sogar ein Geländer verbiegen, was ein Muskel nur durch Wachsen allein nicht kann. Nur durch Anstrengung und wenn man den Muskel trainiert ist das vielleicht zu schaffen. Der Baum dagegen muss nicht trainieren.

Klara war vier Jahre alt. Das Thema "Muskeln" spielte gerade eine große Rolle, das Körperbild wurde komplexer, ging über die groben Kategorien des äußerlich Sichtbaren hinaus. Sport und Üben wurde allmählich zum Thema, wer hat mehr Muskeln, wozu braucht man Muskeln, wie trainiert man Muskeln, was kann man mit Muskeln anfangen? Das alles steckt in dieser amüsanten und irritierenden Frage. Doch die Beschäftigung des Kindes mit dem Themenbereich Muskeln ist nicht der einzige angesprochene Themenkomplex. Es geht auch um das Bemühen, die Unterschiede zwischen Pflanzen und Menschen oder Tieren zu begreifen. Und der Anlass war, verstehen zu wollen, was mit der Mauer und dem Geländer passiert ist.

Ihr Kommentar auf meine Erklärung war übrigens: "Die Mauer hat Pech gehabt!" Und dann, strahlend "Der Baum ist glücklich!" Das Thema "Glück" beschäftigt sie seit ihrem dritten Geburtstag.

Die Max-Planck-Gesellschaft hat im Kontext ihrer Bionik-Forschungen 2007 auf Holz als Vorbild für Materialien mit Muskeleigenschaften hingewiesen. "Bäume zeigen Muskeln" titelte damals das Forschungsmagazin der Gesellschaft (Heft 3/2007). Klara war damals noch nicht auf der Welt, aber die Frage dürften viele Kinder vor ihr gestellt haben. Eines davon forscht nun bei der Max-Planck-Gesellschaft.

Ein Jahr später kamen wir am gleichen Baum wieder vorbei. Ich erzählte ihr, was sie hier gefragt hatte. Sie schaut mich an, denkt nach, dann: "Bäume haben doch keine Muskeln! --- Die haben Wurzeln." Ist das ein Denken in Ausgleich (Bäume haben nicht X, dafür Y?) oder eine Analogie über die Bedeutung "Halt geben" - den Menschen geben die Muskeln Halt, den Bäumen die Wurzeln?

Svenja Rehse: Ist die Frau krank, 2016












Krankheit. Behinderung

IST DIE FRAU KRANK? (4)

Klara hat die Frage gestellt, als sie eine Frau im Rollstuhl sah, die offensichtlich dauerhaft behindert, nicht vorübergehend krank war. Es war Anteilnahme, was aus ihrer Frage klang. Und ein Versuch, über das Thema Behinderung zu sprechen. Denn natürlich hatte sie schon mitbekommen, dass es einen Unterschied zwischen dauerhaften Behinderungen und vorübergehenden Krankheiten gibt. Ein Unterschied, der nicht eindeutig ist.

Ich drückte mich etwas hilflos mit einem "Die Frau hat vielleicht müde Beine." Hinterher erklärte ich ihr den Unterschied von Krankheiten und Behinderungen und dass niemand es möchte, in der Öffentlichkeit wegen seines Äußeren angestarrt oder angesprochen zu werden oder eine Frage dazu mitzuhören. Das hat sie durchaus verstanden und akzeptiert. Umsetzen konnte sie dieses Verständnis jedoch dauerhaft erst im sechsten Lebensjahr, davor überwogen spontane Neugier und Interesse.

Vor "peinlichen" Fragen der Kinder in der Öffentlichkeit bleibt niemand verschont. Dass eine Frau im Rollstuhl fährt oder eine Jugendliche ganz dick ist, wollen die Kinder erklärt haben, sofort. Klara ist auch schon mal zu einer Mutter mit einem behinderten Kind hingegangen und hat gefragt, was das Kind denn "habe". Die erwachsenen Begleiter sind da schon gefordert, nicht nur vom Kind, sondern auch von eventuellen Reaktionen des Umfeldes. Da hilft nur Gelassenheit. Das Kind ist neugierig und nimmt Besonderheiten genau wahr, das ist "natürlich". Die Wahrnehmung von Differenzen gehört substantiell zur Intelligenzentwicklung und strukturiert das Weltwissen.

Man könnte darauf hinweisen, dass Kinder es selbst auch nicht mögen, wegen einer Krankheit angestarrt zu werden - das ist aber oft falsch, denn Kinder sind z.B. auf einen Gipsarm bisweilen durchaus "stolz". Man könnte darauf hinweisen, dass Kinder auch gerne im Kinderwagen geschoben werden - aber das wird Behinderungen und Krankheiten nicht gerecht. Realitätsnähe ist wohl das Angemessenste, dass es eben Krankheiten gibt oder Behinderungen, dass wir aber heute viele Mittel haben, zu helfen. Und dass ein Rollstuhl eine hilfreiche Erfindung sei. Und dass man auch mit kranken Beinen noch viel tun kann und gut leben. Dazu fällt Kindern vieles ein. Klara z.B.: "Sie kann ja Bilder malen!"

Svenja Rehse: Ist das eine richtige Familie










Tier-Mensch. Familie. Sozialgefüge

IST DAS EINE RICHTIGE FAMILIE? (4)

Klara sieht Enten mit Jungen auf einem Teich und ist begeistert, vor allem über die kleinen Enten. "Ist das eine richtige Familie?" fragt sie.

Die Mutter antwortet mit "Ja, das sind die Eltern mit den Kindern". Klara will noch wissen, wer "Papa" und wer "Mama" sei. Kurze Erklärung, dass bei den Enten die Männchen/Papas oft bunter seien. Es sind Stockenten und so lässt sich das auch direkt zeigen.

Das Familienthema ist ein besonders wichtiges in dieser Zeit, es  wird auch mit anderen Kindern oder mit den Puppen oder auch mit Erwachsenen gespielt, sofern die bereit sind, in die jeweilig vom Kind zugeteilten Rollen zu schlüpfen und auch mal als Baby aufzutreten. "Richtig" bedeutet für Klara dabei zunächst "mit Papa und Mama", aber auch tendenziell "groß", sie fühlt sich besonders wohl bei Familienfeiern, wenn Onkels und Tanten und vor allem Cousinen und Cousins zusammen sind. Sie hat dabei auch schon den Satz gehört, "heut sind wir aber eine richtige Familie", mehrere Generationen zusammen war damit gemeint.

Man versteht, dass Kinder früher wesentliche dazu beitrugen, Großfamilien, Sippen, Dorfgemeinschaften, Stämme etc. zusammen zu halten. Bei Straßenfesten heute tragen sie selbst in den Stadt noch durchaus zum Zusammenhalt der Nachbarschaft bei. Die Unterscheidung in Familie im engeren Sinne (Vater, Mutter, Kind/er) und Familie im weiteren (mit Oma, Opa, Tanten, Onkels, Cousinen, Cousins) kennt Klara bereits, explizit macht sie diese Unterscheidung erst mit Fünf.

Ein zweites Thema, das in dieser Frage mitgemeint ist, ist das der Verbindung von Tieren und Mensch. Auch Tiere haben Kinder, auch Tiere haben Familien - also sind sie uns sehr nahe. Unabhängig von Tier-Bilderbüchern, die Tiere in menschlichen Situationen, als Stellvertreter menschlicher Themen behandeln, und Kuscheltieren. "Eine richtige Familie" kommt auch später noch gelegentlich, vorzugsweise bei Enten am See, aber auch z.B. bei Weinbergschnecken unterschiedlicher Größe.

Warum
                  sind zwei Stunden länger als zehn Minuten









Uhrzeit. Zeit. Zahlen

WARUM SIND ZWEI STUNDEN LÄNGER ALS ZEHN MINUTEN? (4+)

Klara wollte wissen, wann die Mama nach Hause komme. Als ich sagte, in etwa zwei Stunden, wollte sie wissen, ob das lang sei. Ich sagte, ungefähr so lang wie vier mal Mittagessen. Sie: "10 Minuten?" Ich: "Nein, viel länger!" Das Kind: "Warum sind zwei Stunden länger als zehn Minuten?"

Meine Erklärung, dass eine Stunde sechzig Minuten habe und daher sechzig mal so lang sei wie eine Minute kommentierte sie trocken mit "Das versteh ich nicht!"

Kinder in diesem Alter bewegen sich noch unsicher im Zahlenraum. Sie freuen sich, wenn sie korrekt zählen können, also auch gelernt haben, dass 10 mehr sei als 2. Für Maßsysteme mit Untereinheiten, wie Zeitangaben, fehlen ihnen in der Regel die kategorialen Voraussetzungen. Weshalb es auch mit Additionen und Subtraktionen über die 10 hinaus noch nicht klappt, die auch mit unterschiedlichen Einheiten ("Einer" und "Zehner") operieren.

Mengen sind noch nicht bewußt qualitativ differenziert - auch wenn jedes Kind in diesem Alter eine ganze Tafel Schokolade fünf einzelnen Schokostückchen von dieser Tafel vorziehen würde. Nebenbei ein Beispiel, womit dem Kind unmittelbar anschaulich gemacht werden kann, weshalb "2" auch einmal mehr sein kann als "10" - abhängig von der Referenz. Ein ähnliches Problem haben Kinder mit Geld. Wenn die Mama beim Kauf einer Brezel zwei Euro gibt und einen Euro sowie zwei 10 Cent Stücke zurückbekommt, ist das Kind erstaunt und findet, die Mama habe ein gutes Geschäft gemacht.

Offensichtlich hatte Klara hier Schwierigkeiten damit, "mehr" und "länger" im Blick auf Zeitangaben auseinander zu halten. Ihren Protest unterstrich sie mit "wo doch 10 mehr ist als 2!" Dies könnten mit verursacht sein dadurch, dass bei Zeitangaben durchaus auch die Angaben "mehr" oder "weniger" gebräuchlich sind, etwa in "mehr Zeit haben". Eine weitere Komplikation bringt die doppelte Verwendung der Kategorie "Länge" sowohl für räumliche wie für zeitliche Maße.


Wann sind wir
              endlich da








Zeitwahrnehmung. Zeitbegriff

WANN SIND WIR ENDLICH DA? (4+)

Natürlich stellte das Kind diese Frage auf einer Reise, einer Zugreise. Es war eine Reise zu einer längeren Wanderung, einem "Pilgern mit Kindern". Es stellte die Frage aber nur auf der Hinreise, nicht auf der Rückfahrt (was für die Wanderung spricht)!

"Bald" ist keine Antwort, die hier sinnvoll ist. Konkrete Gliederungen machen mehr Sinn - also z.B. "noch fünf Haltestellen". Oder eine kleine Beschreibung der Landschaften, die noch durchfahren werden. In jedem Falle sollte aber eine Beschäftigung angeboten werden, ein Spiel. Malen ist gut geeignet für Bahnreisen - zur Not auch in der kostenlos ausliegenden Bahnzeitschrift, die ganz ungeahnte Beschäftigungspotentiale für Kinder bietet (Malen, Schreiben, Falten, Ausschneiden, Fragen, Kommentieren ...).

Die Frage "Wann sind wir endlich da?" löst auf Reisen die Frage "Wie lange dauert das noch?" ab. Zeit wird zunächst mit der räumlichen Kategorie der Länge bestimmt. Erst mit vier Jahren entwickelt sich ein genaueres Verständnis von Zeit, das sich dann auch sprachlich niederschlägt in häufigeren Klagen über "Langeweile" und z.B. auch in der klassischen Kinderfrage "Wann sind wir endlich da?".

Wann-Fragen erscheinen zumeist erst einige Zeit nach den Wer-, Was-, Wo-, Wie- und Warum-Fragen, im vierten oder fünften Lebensjahr. Sie sind allerdings keineswegs ein Hinweis darauf, dass wir bereits von einem differenzierten Verständnis zeitlicher Dimensionen ausgehen dürfen. Im Zweifelsfalle greift das Kind noch immer auf sein bewährtes "noch x-mal schlafen" zurück, um eine zeitliche Größe zu erfassen.

Wir müssen akzeptieren, dass die Entwicklung des Zeitbewusstseins beim Kind auch den Preis hat, dass es sich nun langweilen kann. Möglicherweise haben viele Gefährdungen des Menschseins durch sozial wenig verträgliche Zerstreuungen, Süchte, "Laster" ihren Keim im Zeitbewusstsein. Nicht also nur verengend "Müßiggang ist aller Laster Anfang" sollte es heißen, sondern, radikaler, "Zeit ist aller Laster Anfang".

Warum
                  hast du das Auto gekauft









Warum-Satzfragen. Autos. Statussymbole. Groß-Klein

WARUM HAST DU DAS AUTO GEKAUFT? (4+)

Wir steigen aus meinem Auto aus, sie steht vor dem Auto, schaut das an und fragt "Warum hast du das Auto gekauft?".

Ich erkläre, dass ich weit von einer Straßenbahnhaltestelle entfernt wohne. Dass ich oft Dinge transportieren muss. Sie nickt, fragt aber weiter: "Und die Farbe?" Das sei meine Lieblingsfarbe. Sie: "Ich mag Rot lieber!"

Sie will mit dieser Frage gleich mehrere Dinge verstehen. Zum einen beschäftigt es sie, dass ihre Eltern kein Auto haben, obgleich sie gerne eines hätte, ein möglichst großes. "Car sharing" fand sie kurz mal interessant, aber da die Eltern es sehr selten nutzen, sie wohnen sehr gut mit ÖPNV angebunden, ist das für sie keine akzeptable Alternative. Zum anderen will sie auch wissen, warum ich so ein kleines Auto habe. Und dann hat sie auch schon mitbekommen, dass die meisten Autos "unbunt" grau, schwarz oder weiß sind. Buntfarbig (grün) wie das meine sind nicht viele.

Statussymbole spielen in ihrem Kindergarten keine offensichtliche Rolle, viele Eltern bringen und holen die Kinder mit dem Fahrrad, auch solche mit Auto. Die Autos sind unterschiedlich groß, reine Protzautos fahren nicht vor. Und doch hat das Kind eine Neigung zu großen Autos. Ich halte das für - cum grano salis - ursprünglich und nicht (nur) gelernt. Ich erinnere mich an eine Situation, wie sie als Einjährige einen Korb mit Weintrauben vor sich hatte, davon aß und dann gezielt den größten Traubenhenkel herausfischte, diesen bewundernd hochhielt und jauchzte: "Große! Alle essen!". Einen anderen, von dem sie zuvor gegessen hatte, legte sie beiseite, "Kleine weg" - nicht verächtlich, aber sachlich klar.

Einige Tage davor hatte sie mich gefragt "Hast du schon einmal ein Auto gekauft?" Die Frage zeigte, dass sie noch keine klare Verbindung zwischen "Kaufen" und "Besitzen" gezogen hat. Vielleicht hat das Konzept "Car sharing" sie auch begrifflich unsicher gemacht. Und sie hat auch mitbekommen, dass Großeltern Eltern ein Auto geschenkt haben bzw. übergeben.
 



Svenja Rehse:
              Können Sterne fliegen








Assoziationen. Wahrnehmungswelt. Fliegen

KÖNNEN STERNE FLIEGEN? (4+)

Das Kind war zum ersten Mal geflogen, in den Urlaub mit dem Vater. Es kam zurück und hatte vor allem eines zu berichten: Dass es im Flugzeug Bonbons bekommen habe. Weil ihm übel gewesen sei. Von denen hat es welche mitgebracht. Und eines davon hatte es gerade ausgepackt, im Auto, damit es ihm nicht übel werde. Auf dem Bonbonpapier waren Sterne drauf.

Ich sagte: Wirf mal das Bonbonpapier in die Luft. Das Kind tat es und lachte. Ich sagte: Siehst du, Sterne können fliegen. "Nein, ich meine in Echt!" protestierte das Kind, weiter lachend. Ich erklärte, dass die Sterne durch das Weltall fliegen, wie die Sonne auch und die Erde. "Die Erde fliegt auch? Boah!" Es schaute neugierig zum Autofenster hinaus und war beruhigt. Keine fliegende Erde zu sehen, alles stabil.

Das Gespräch kam von der Übelkeit im Flugzeug zur Übelkeit im Auto und dass da Bonbons helfen. Ab Fünf halfen dann Kaugummis. Denn Kaugummis sind attraktiver, so was haben die "großen" Mädchen. Die können damit auch Blasen machen. Die Cousine Monira zum Beispiel.

Kinder denken noch unbeschwert durch Kategoriensysteme assoziativ, oft in überraschenden Ketten, wobei es von den Sternen zu Bonbons und Flugzeugen und Autos und Kaugummis und Cousinen und zurück zu den Sternen und von dort zu Gott gehen kann. Das Große und das Banale liegen eng beieinander, verknüpft durch die "Kette des Seins". So entdecken und verstehen sie die Welt, wie die Barockzeit in ihren Sammlungskabinetten, wo auch die Vogelfeder neben dem Diadem lag - ganz wie in kindlichen Schatzkammern mit ihren eigenen Ordnungssystemen.

Darüber hinaus verweist die Frage auf die Dominanz der Wahrnehmungen über das Wissen. Sterne sind ebenso am Himmel wie Flugzeuge, also liegt die Frage nahe, solange sie noch keine genauere Vorstellung von den Sternen hat, als die in Kinderbüchern und Liedern vermittelten. Und bei "Lauras Stern" kommt der Stern ja auch immer wieder mal zu Laura geflogen.


Haben Tiere
                ihre Kinder lieb









Tier-Mensch. Fürsorge

HABEN DIE TIERE IHRE KINDER LIEB? (4+)

Die Frage stellte Klara nicht im Zoo, sondern im Naturkundemuseum Karlsruhe, bei den Dioramen. Und zwar vor dem Adler, der gerade ein Murmeltier geschlagen hat - auf meine Erklärung hin, dass der Adler das Murmeltier jetzt zu seinen Kindern ins Nest bringe, damit die was zu essen haben.

Ich antwortete mit "Ja". Klara fragte weiter: "Alle Tiere?" - "Ja", denn für weitere Differenzierungen schien es mir zu früh. Klara beschloss das Thema lachend mit dem Satz "Wie der Mensch auch!"

Die Antwort auf ihre Frage ergibt sich heute selbstverständlich als "Ja". Dass nur der Mensch (als "Krönung der Schöpfung") zur Liebe befähigt sei, wird niemand mehr einem Kind erklären, auch wenn er/sie philosophisch oder religiös dieser Meinung sein mag.

Die Frage steht für einen außerordentlich wichtigen Schritt in der Entwicklung von Kindern, die Ausweitung des Verantwortungshorizontes auf - emphatisch gesprochen - "die Schöpfung". "Mitleid" mit Tieren gab es schon früher, doch diese Frage verweist auf mehr. Nicht Mitleid von Kind zu leidendem Wesen, sondern Verbindung von Mensch zu Tier.

Das Mitgefühl für andere Menschen ging dem voraus, etwa für Bettler/Obdachlose, auch wenn wir zur Annahme neigen, die Tierliebe ginge bei Kindern der Menschenliebe voraus. Wofür es durchaus auch Argumente gibt, etwa das der solidarischen Nähe von Kinder zu Tieren bezüglich der Abhängigkeit, oder die kulturell eingespielte Verbindung von Kindern mit dem Tierreich über Kuscheltiere, Bilderbüchern etc..

Mit dem "auch" in ihrem abschließenden Satz signalisiert Klara, dass sie durchaus eine Vorstellung davon habe, dass der Mensch eigentlich ein Tier sei, vielleicht ein besonderes, aber doch eingeordnet, zugehörig. Dass Tiere ihre Kinder lieben ist für sie keine Analogiebildung, die vom Menschen ausgeht. Vielmehr ist offensichtlich für sie die Kinderliebe einem Gemeinsamen zugehörig, das die Tiere mit den Menschen verbindet.


Kinder darf man nicht schießen











Tierkinder. Jagd

KINDER DARF MAN NICHT SCHIEßEN!? (4+)

Wir waren im Naturkundemuseum bei den Dioramen. Dort sind auch einige Tierfamilien zu sehen, Wildschweine mit Frischlingen und eine Füchsin mit Jungen z.B.. Klara wollte wissen, ob die Tiere "mal gelebt" haben, "echt". Und ob "der Jäger" die geschossen habe. "Das Kind aber nicht!", denn "Kinder darf man nicht schießen!?".

Ich erkläre ihr, dass das Rehkitz wahrscheinlich von einem Auto überfahren wurde oder krank war und dann gestorben ist. Dann habe der Jäger es gefunden und zum Museum gebracht.

Die Frage schwankt zwischen Feststellung, Forderung und Frage. Die Vorstellung, ein Jäger habe das Rehkitz erschossen, ist für sie empörend. Dass Erwachsene (Tiere oder Menschen) erschossen werden, hält sie für durchaus normal - einmal bezogen auf Tiere durch Kindergeschichten, "Peter und der Wolf" etwa. Auf Menschen bezogen kennt sie das direkt oder indirekt aus den Medien.
So berichtete sie mir einmal ("ich muss dir was sagen!") über "Mörder" in Amerika, die ein "Schießeisen" haben und auch Babys erschießen. Das wisse sie vom älteren Bruder einer Freundin, "das steht in der Zeitung!"

Wir gingen oft ins Naturkundemuseum, und mit zunehmender Welterfahrung und Intelligenz fiel ihr mit sechs Jahren dann auf, dass die "süßen" Kücken bei den verschiedenen Nest-Dioramen der Vögel wohl nicht alle bei einem Unfall umgekommen sein können. Ihre ein Jahr ältere Freundin, die einmal mit dabei war, erklärte auch unumwunden, dass die "umgebracht" wurden vom Jäger. Und sie zeigte die vermeintlichen "Schusslöcher", die allerdings lediglich Gefiedermuster waren.

Eine grundsätzlich schwierige Situation, da ich einerseits dem Kind die Sicherheit bewahren möchte, dass Kinder einen besonderen Schutzstatus genießen. Ich möchte ihm auch den Respekt vor Tieren bewahren und die Verbundenheit mit Tierkindern, also keineswegs argumentieren mit einem "das sind ja nur Tiere". Andererseits soll es eine realistische Sicht auf die Welt gewinnen und nicht belogen werden. Wie so oft (etwa beim Weihnachtsmann und Osterhasen) kommt es seiner eigenen Reifung entsprechend sukzessive zu ihm gemäßen realistischen Einschätzungen.

Svenja Rehse: Wer ist das









Selbstbewusstsein. Selbstreflexion. Ironische Distanz

WER IST DAS? (5-)

Kurz nach ihrem 5. Geburtstag hole ich Klara vom Kindergarten ab. Sie setzt sich auf den Kindersitz hinten und reckt sich dann zum Rückspiegel. Schaut hinein und fragt "Wer ist das?" Sie meint offensichtlich sich selbst.

Ich sage, "die Klara". Sie: "Das ist eine Fünfjährige. Die muss ich mir mal genau anschauen." Dabei lehnt sie sich nach vorne, näher zum Spiegel.

Wir haben hier einen äußerst interessanten Hinweis auf distanzfähiges Selbst-Bewusstsein, im Unterschied zum Ich-Bewusstsein, das schon etwa mit Drei da ist. Zugleich demonstriert sie hier einen klaren Sinn für Ironie. Denn sie macht deutlich, dass sich eigentlich mit dem fünften Geburtstag nichts für sie verändert habe. Eine ähnliche Enttäuschung war schon beim vierten Geburtstag zu spüren, jetzt setzt sie sich selbst zu dieser Enttäuschung in eine ironische Distanz.

Sie begreift sich in diesem Alter auch zunehmend als geschichtliches Wesen, weiß, dass sie mit fünf Jahren eine völlig andere ist als sie mit zwei Jahren war. Sie versteht aber auch, dass es keinen erkennbaren Unterschied zwischen der Klara gibt, die gerade noch Vier war, und der, die gerade Fünf geworden ist. Sie schaut sich nun besonders gerne Videos von sich als Zwei- und Dreijährige an. Diese Leidenschaft erreicht um den siebten Geburtstag herum dann einen Höhepunkt. Sie schaut dann nicht mehr nur mit Entzücken, sondern auch nachdenklich bis analytisch auf die Filme von sich selbst. Es müssen übrigens Filme sein, Bilder interessieren sie nicht, nicht mir Fünf und schon gar nicht mit Sieben. Mit Sieben spricht sie auch über sich selbst als Zweijährige dann mit einer Charakterisierung, die sie kurz vor ihrem dritten Geburtstag explizit zurückgewiesen hat, "süß".

Mit gerade Fünf hat sie diese Distanz noch nicht, ist sie sich selbst noch nicht begriffen geschichtlich geworden. Und doch ist der Schritt dahin schon deutlich angelegt, die Selbst-Reflexion ist schon im Gange, in Gang gebracht durch die sprachliche Entwicklung, denn, wie George Herbert Mead ausführte, "the language process is essential for the development of the self".
 


Ist das Weiße
              blass









Wortverständnis. Sinnverwandte Wörter

IST DAS WEIßE BLASS? (5-)

Ich hatte gesagt, sie sei blass, ob ihr nicht gut sei. Sie rennt zum Spiegel, schaut hinein und fragt "Ist das Weiße blass?".

Die Antwort sollte klarmachen, dass "blass" einen engeren Anwendungsbereich als "weiß" hat, etwa mit dem Hinweis, dass man menschliche Haut, die von Natur aus, bei wenig Sonnenschein im Winter oder bei einer Krankheit sehr hell ist, "blass" nennt.

Offensichtlich kannte das Kind das Wort "blass" bereits, es wurde sicherlich auch schon selbst gelegentlich so genannt. Nun nutzte es die Gelegenheit, genauer zu verstehen, was es bedeutet. Es half sich dabei selbst mit einer sehr klugen Vermutung, nämlich dass das "Weiße" (ihre auffallend bleiche, helle Gesichtsfarbe) mit "blass" gemeint sei. Bemerkenswert ist hier zweierlei, zum einen, dass sie unmittelbar nach einer Anschauung für den Begriff "blass" sucht, also "begreifen" möchte und selbst eine Lösung findet (zum Spiegel Rennen), um das Begreifen zu unterstützen. Zum anderen wird deutlich, dass sie schon eine sehr klare Vorstellung von ihrer eigenen äußeren Erscheinung hat, dass ihr durchaus auch selbst auffällt, dass etwas anders sei an ihrer Haut als üblicherweise, das "Weiße" nämlich.

Hier kann auf die Gründe für die Blässe eingegangen werden, etwa schwächere Durchblutung, weil gerade der Bauch mehr Blut braucht, um wieder gesund zu werden. Bei Bedarf und Interesse des Kindes kann das Gesundheitsthema weiter ausgeführt werden. Eine ganz andere Anknüpfung wäre der über die optische Dimension, etwa durch Malen: Bleiche und fröhliche Gesichter malen oder ähnlich. Oder Schminken. Auch auf die bräunende Wirkung der Sonne kann eingegangen werden, auf die Themen Pigmentierung und Ähnliches, die Sommersprossen von Pippi Langstrumpf.

Sprachlich vertiefend können die Erwachsenen auch das weitere Bedeutungsfeld von "blass", seine Stellung zu "bleich" und "weiß" weiter ausführen und erklären, dass manchmal verschiedene Wörter etwas Ähnliches benennen aber ganz unterschiedliche Bedeutungen haben. Der Weg zum Spiegel macht auch deutlich, warum Kinder noch solche Schwierigkeiten mit übertragenen, metaphorischen Bedeutungen haben. Sie benötigen die unmittelbare Anschauung, um Bedeutungen zu verstehen, ihre Semantik ist erst im grundlegenden Aufbau, auch wenn sie Sprache oft schon vermeintlich souverän einsetzen.


Svenja
                  Rehse: Ist Pippi Langstrumpf ein Mensch?









Kinderbuch-Realität. Wunschbild. Zweifel

IST PIPPI LANGSTRUMPF EIN MENSCH? (5-)

Eigentlich interessierte sie Pippi Langstrumpf nicht mehr so sehr. Inzwischen fühlte sie sich selber stark. Aber ich sollte doch mal wieder eine Pippi-Langstrumpf-Geschichte vorlesen. Es war die Geschichte, in der Pippi Fliegenpilz isst. Sie warf ein, dass man das eigentlich nicht darf. Aber Pippi könne das. Und dann die Frage: "Ist Pippi Langstrumpf ein Mensch?"

Ich erklärte ihr (wieder einmal), dass Pippi eine Erfindung sei. "Aber hat sie mal gelebt?" Ich halte mich an den alten Goethe und berichte ihr, dass Astrid Lindgren sicherlich Kinder gekannt habe, die manche Eigenschaften von Pippi hatten. Und vielleicht war Astrid Lindgren als Kind auch ein bisschen wie Pippi - oder sie wäre gerne so gewesen.

Dass Pippi Langstrumpf wirklich ein Pferd hochheben kann, hatte Klara etwa ein Jahr lang geglaubt. Mit Fünf schwankt sie nun zwischen der Einsicht, Pippi sei nur "erfunden", und der Vermutung, Pippi sei kein "normaler" Mensch. Mit Drei und Vier glaubte sie an die Macht von Pippi nicht, weil sie an Magie glaubte, sondern weil sie es wunderbar fand, ein solch starkes Vorbild zu haben, ein Kind, das es mit Räubern, Haifischen und bösen Erwachsenen aufnehmen kann. Wenn dies magisches Denken ist, gut. Doch "Superman"-Comix werden auch von Erwachsenen gelesen.


"Ich wär auch gern so gewesen", der Satz kam ganz flugs, mit einem Lachen, als ich meinte, dass Astrid Lindgren vielleicht gerne wir Pippi gewesen wäre. Aber dann kommen Zweifel in Klaras Gesicht. "Aber die Pippi war schon ein bisschen verrückt, oder?" Und dann gibt sie auf ihre erste Frage, ob Pippi ein Mensch sei, selbst eine Antwort: "Vielleicht war sie ja ein verzaubertes Kind!" Mit einem vergewissernd angefügten "Zaubern geht aber nur im Spiel, oder?" Das Alter der Zweifel, des Hinterfragens beginnt, sie wischt das aber schnell weg und will "Sport" machen, Handstand, Radschlagen, Kissen werfen. Womit sie zeigt, dass sie auch lernt, mit Inkohärenzen umzugehen, indem sie diese aushält.


Svenja Rehse:
              Hat das Mädchen geübt?








Üben. Älter werden. Schulreife

HAT DAS MÄDCHEN GEÜBT? (5-)

Das Kind sieht ein älteres Mädchen auf einem Einrad fahren und stellt die Frage "Hat das Mädchen geübt?". Und ich verstehe wieder einmal zunächst überhaupt nicht, was das Kind meint.

Ich erkläre also, das Mädchen habe sicher schon lange geübt, denn auf einem Einrad zu fahren sei schon schwieriger als auf einem Rad mit zwei Rädern zu fahren. Klara nickt respektvoll. Eine Debatte über Einrad und Zweirad bleibt mir erspart, das Kind merkt nur an, dass auf einem Kinderrad zu fahren ja "babyleicht" sei.

Das Konzept "Üben" ist für Kinder keinesfalls auf Anhieb verständlich. Sie machen ursprünglich die Erfahrung, dass sie immer wieder Neues können, ohne geübt (zumindest ohne bewusst geübt) zu haben. Und bei den Kleineren um sich herum sehen sie auch nicht, dass die üben. Die können irgendwann laufen, weil sie größer/älter geworden sind, nicht weil sie geübt haben. Ebenso verhält es sich mit dem Sprechen. Zumindest stellt es sich so dar, und die Erwachsenen sagen das ja auch bisweilen: Das kannst du, wenn du groß bist. Warum also sollte das Kind üben? Es kommt doch alles mit dem Älterwerden von alleine, ganz einfach.

Daher auch (zumindest zum Teil) das Widerstreben der Drei- und Vierjährigen, wenn sie sich z.B. ans Klavier setzen sollen um zu üben. Zudem haben sie ein ganz gesundes Empfinden dafür, dass sie am Besten lernen, wenn ihnen etwas Spaß macht, spielerisch. Also Vorsicht, liebe Erwachsene, mit einem zu frühen "du musst noch üben".

Erst mit etwa fünf Jahren können Kinder überhaupt im Ansatz verstehen, was Üben bedeutet. Und das gehört sicherlich entscheidend mit zur Schulreife. Denn was tut man in der Schule zunächst vor allem? Üben! Auch wenn zu hoffen ist, dass dies häufig spielend geschieht. Dass es nicht nur spielend geschehen muss, zeigt das Kind selbst, das in diesem Alter bewusst beginnt, Dinge zu wiederholen, die es können möchte, also zu "üben" - auch schon mal verbissen, so dass man es bisweilen stoppen muss, wenn es sich gefährdet, z.B. durch riskante Handstandüberschläge auf Beton.

Allerdings hat Klara mich kurz vor ihrem sechsten Geburtstag noch damit überrascht, dass sie erklärt haben wollte, warum und was ein Kinderchor, der Beethovens Lied vom Marmottenbuben singt, geübt habe. Dass sie das Singen geübt haben, findet sie nicht einleuchtend, dass sie geübt haben, wo jedes einzelne Kind auf der Bühne steht, schon. "Üben" hat also noch eher mit "Verabreden", "Absprechen", "Probelauf" zu tun als mit wiederholtem Tun. Klavier "üben" ist ihr auch mit Sechs noch immer eher ein Graus; sie will zeigen, was sie schon kann, nicht üben. Um den siebten Geburtstag herum wird das Üben allmählich eine dem Kind selbst einleuchtende Option.

Svenja
                  Rehse: Warum ist der Fluss lang?








Wahrnehmungswelt. Entfernungsmaße und Zeitmaße. Wortbedeutungen

WARUM IST DER FLUSS LANG? (5-)

Wir standen am Rhein, etwas nördlich von Karlsruhe, wo man in der flachen Landschaft schon das Meer ahnen kann, dem die schweren Lastkähne zutreiben - wo man aber auch noch um die Berge weiß, von denen dieses Wasser kommt. Ich verstand die Frage nicht. Klara insistierte, "Warum ist der Fluss lang?". Schließlich erfuhr ich, dass ein anderes Kind im Kindergarten, eines von den "Schulanfängern", die anderen nach dem längsten Fluß auf der Welt gefragt habe.

Ich zeige ihr, dass ihre Haare länger sind als meine. Und erkläre, der Rhein sei länger als z.B. die Alb, die vor ihrem Kindergarten vorbei fließe. "Hört der mal auf?" Ich erkläre ihr, dass der Fluss ins Meer fließe und da sei er dann zu Ende. Sie will nicht wissen, wo er anfange - aber das hat ja auch noch Zeit.

Offensichtlich konnte das Kind mit der Länge eines Flusses nichts anfangen. Länge kannte und verstand es bisher primär als Zeitangabe. "Wie lang dauert das noch?" Distanzen, Entfernungen hatten mit "weit" zu tun: "Wie weit ist es bis zur Oma" zum Beispiel. Und das war auch eher zeitlich gedacht ("wir müssen ganz lang im Zug fahren bis zur Oma"). Dass ein Fluss "lang" sein kann, war ihm völlig unverständlich. Zumal es ja weder Anfang noch Ende sehen konnte, der Begriff nicht einmal anschaulich gemacht werden konnte. Dass Haare "lang" sein können, und Kleider, weiß es und sieht es, das sind etablierte Sonderfälle neben den Zeitbestimmungen - aber ein Fluss?

Peter Handke schreibt in seiner "Kindergeschichte": "Wenn es dann zu Hause dastand und die für den folgenden Tag verlangte Länge irgendeines Flusses oder Höhe eines Berges aufsagte, dachte der Mann immer wieder, nie dürfe vergessen werden, und bis ans Ende der Zeiten müsse überliefert werden, mit welch weitaufgerissenen, schreckstarren Augen die Kinder der Erde das sogenannte Wissen der Menschheit rezitierten." (Seite 75)

Handkes "Kindergeschichte" kommt ohne eine einzige Kinderfrage aus. Es sind "die vielgeschmähten großen Wörter" (Seite 50), die Handke am Kind bemerkt und vom Kind wieder schätzen lernt. Wie das Kind hebräische Schriftzeichen malt und Französisch erwirbt berichtet der Autor - doch keine Kinderfrage nennt er, nur die Fragen, die sich der alleinerziehende Vater stellt, zu seiner Funktion, zum Kind, zur Gesellschaft.

Hier also geht es auch letztlich um ein Wort, ein einfaches Adjektiv, für das Kind aber plötzlich problematisch: Was bedeutet eigentlich "lang" bei einem Fluss? Sie sieht ja weder seinen Anfang noch sein Ende.
 


Svenja Rehse: Was ist daran lustig, 2018











Rhetorische Fragen. Selbstbewusstsein. Lächerlichkeit

WAS IST DARAN LUSTIG? (5-)

Klara hat sich die Lippen geschminkt, stolz kommt sie mit schräg gefärbten Lippen und verkündet: "Ich bin eine Frau!". Der Erwachsene lächelt, kann mit Mühe ein Lachen unterdrücken. "Was ist daran lustig?" kommt die leicht empört vorgetragene Frage.

Der Erwachsene weiß, dass das Kind sich nicht ernst genommen fühlt und antwortet mit einem sachlichen Argument, dass der Lippenstift etwas verrutscht sei und man das gemeinsam korrigieren könne. Das Kind akzeptiert, bringt den Lippenstift der Mutter und meint: "Aber nicht wie ein Clown! Wie eine Frau!"

Das Kind war schon früh sehr empfindlich, wenn es den Eindruck hatte, dass von Erwachsenen "über es" gelacht wurde. Bislang hatte es sich dann mit Schimpfen oder Weinen gewehrt. Nun hat es ein rhetorisches Mittel gelernt, sich zu verteidigen. Damit ist es auch souveräner in diesen Situationen geworden. Denn mit Schimpfen und Weinen hat es sich oft auch selbst in ein Beleidigtsein hinein manövriert, aus dem es nur schwer wieder herausfand und das ihm selbst dann leid tat. Mit sechs war das Thema dann erledigt, da kam dann sachlich die Frage, "warum lachst du?". Und mit Sieben lachte Klara mit, wenn sie es sachlich akzeptierte.

Mit dem neu erworbenen Satz kommt es zugleich auf Augenhöhe mit den Erwachsenen, die in vergleichbaren Situationen ja in der Regel nicht schimpfen oder weinen, sondern mit Sätzen wie diesem vom Kind nun gelernten reagieren - es sei denn, eine wirkliche Beleidigung durch ein Auslachen liege vor, auf das auch Erwachsene bisweilen mit Schimpfen reagieren.

Bemerkenswert auch, dass der Satz "WAS IST DARAN LUSTIG?" etwa gleichzeitig mit der ersten Differenzierung von "lustig" und "lächerlich" kommt. Das Kind benutzt das Wort "lächerlich" hier noch nicht, aber das Konzept ist offensichtlich da, sie schaut öfter Erwachsenen zu, die in einer unerwarteten Situation die Haltung verlieren und erklärt dann, das sei "lustig" gewesen. Ohne Boshaftigkeit, aber mit dem offenkundigen Bewusstsein, dass dieses "Lustige" ambivalent ist, der andere es durchaus nicht als lustig empfindet.

Bemerkenswert ist auch die Differenzierung des Schminkens in ein auf "lustig" hinzielendes Schminken - das zum "Clown" - und ein auf "schön" hinzielendes - das "wie eine Frau".


Svenja Rehse: Wer hat die Menschen gemacht?









Religion. Prima Causa. Menschenwerk

WER HAT DIE MENSCHEN GEMACHT? (5-)

Das Kind ist in vergnügter Stimmung, klettert auf einem schmiedeeisernen Geländer, lobt das Geländer, wie toll das gemacht sei. Dann kommt aus heiterem Himmel der Satz: "Der liebe Gott hat alles gut gemacht!" Ich möchte eine Lanze für den Humanismus brechen und bemerke: "Das Geländer haben aber Menschen gemacht." Darauf das Kind mit Nachdruck: "Und wer hat die Menschen gemacht?"

Ich erkläre: "Dich haben der Papa und die Mama gemacht." Was ihm nicht genügt: "Und ganz früher? Ich mein, alle Menschen?" Ich versuche mich in einer Andeutung der Evolution. Das Kind schaut mich groß an, wendet sich ab und singt.

Die Idee des Kindes scheint zu sein: Wenn die Menschen selbst nur "gemacht" sind, ist es dann sinnvoll, die Menschen für ihre hübsch geschmiedeten Geländer und dergleichen zu loben? Muss man nicht besser den "Menschenmacher" loben? Das Kind scheint nicht wirklich eine verbindliche Antwort zu erwarten. Es ist offensichtlich vergnügt mit der gedanklichen Möglichkeit, dass es niemandem für die Benutzung des Geländers Rechenschaft schuldig sei als "Gott" selbst. Damit bewegt es sich auf dem Terrain anspruchsvoller theologischer Debatten und sozialer Gerechtigkeitskonzepte.

Die Frage nach dem Ursprung der Menschen ist eine der Fragen, die sich für eine Rückfrage an das Kind besonders anbieten: "Was meinst du, wer die Menschen gemacht hat?" Denn die Erwachsenen wissen das ja selbst nicht so genau. Nicht nur bei dieser Frage sollten wir uns an das Sokratische "Ich weiß, dass ich nichts weiß" erinnern. Und öfter mit dem Kind gemeinsam nach einer Antwort suchen. Keiner endgültigen, sondern einer, die das Kind aktuell zufrieden stellt.

Einige Wochen später kommt die Frage nochmals im Naturkundemuseum, als ich ihm erkläre, dass es zur Zeit der Flugsaurier noch keine Menschen gegeben habe. Dann müssen die ja irgendwann "gemacht" worden sein, nach den Flugsauriern, so offensichtlich seine Überlegung. Ich biete erneut einen kleinen Exkurs zur Evolutionstheorie an, dass es in der Flugsaurier-Zeit kleine Mäuse gegeben habe, die sich in ganz ganz langer Zeit in andere Tiere verwandelt haben, die alle ihre Babys im Bauch tragen. Und irgendwann seien dann wir gekommen. Dieses Mal hört sie schon aufmerksamer zu.


Svenja Rehse:
              Ist da im Bauch ein Messer?








Missverständnisse. Semantik

IST DA IM BAUCH EIN MESSER? (5-)

Es ging um "Verdauung". Anlass war ein Besuch im Zoo. Die Alpakas lagerten am Abend auf ihrer Wiese. Das Kind, damals gerade Fünf geworden, wollte wissen, ob die schon schlafen. Da einige Tiere erkennbar am (Wieder-)Käuen waren, sagte ich: "Nein, die verdauen jetzt." Das Kind: "Was ist das, verdauen?"

Ich erklärte: "Beim Verdauen wird die Nahrung im Magen noch kleiner gemacht als das die Zähne können." Das Kind schaute mich an, ging weiter, blieb stehen, fasste sich an den Bauch und fragte: IST DA IM BAUCH EIN MESSER?

So kamen wir zur Magensäure und den verschiedenen Möglichkeiten, Dinge zu zerkleinern und aufzulösen.

Wir Erwachsenen vergessen oft, dass Kinder keineswegs den Wortschatz schon vollständig beherrschen, den sie anscheinend souverän handhaben. Es mag ja sein, dass eine Dreijährige schon das Wort "verdauen" verwendet. Aber erst mit Fünf erkennt sie dann, dass sie nicht wirklich weiß, was damit gemeint ist. Also ist es wenig hilfreich, wenn der Erwachsene erklärt: "Das Wort 'verdauen' kennst du doch schon". Das Kind kann vielleicht das Wort richtig anwenden - aber verstehen, was damit gemeint ist, geht darüber hinaus. Anwendungswissen und Erklärungswissen sind zweierlei.

Hier zeigen sich nebenbei auch die Grenzen der linguistischen Erklärung der Semantik über Anwendungswissen. Anwendungsbedingungen sind eine notwendige, jedoch keine hinreichende Begründung von Bedeutung.

Daher ist es völlig "normal", wenn Kinder im Alter von Fünf plötzlich wieder nach Dingen fragen, die sie im Alter von Zwei schon gefragt haben. Wollten sie damals Wörter lernen, so möchten sie nun die Bedeutung der Wörter begreifen. Der Schritt ist der vom "Wie heißt das?" zum "Was bedeutet das?" Im konkreten Fall: Was bedeutet "verdauen"?

Ich wollte dann noch mit den Unterschieden in der Leistung von Magen und Darm fortfahren, aber das Kind war erst einmal froh, im Bauch kein Messer zu haben. Das mit der Flüssigkeit im Bauch, die Essen zerkleinert, war doch schon merkwürdig genug. Interessanter fand es ohnedies dann, was die Alpakas in der Nacht machen (wenn sie, wie es schien, schon den ganzen Tag herumlagen) und ob die kleinen Alpakas bei der Mama schlafen.


Svenja Rehse: Bist du
                  überhaupt irgendwo Onkel, 2018











Persönliche Fragen. Soziale Rollen und Beziehungen. Kontextualität

BIST DU ÜBERHAUPT IRGENDWO ONKEL? (5-)

Ich hole Klara gelegentlich vom Kindergarten ab. Die anderen Kinder fragen mich, ob ich der Onkel sei. Ich verneine, erkläre, dass ich ein Freund der Eltern sei. Da werfen die anderen Kinder Klara vor, sie habe gelogen. Ich erkläre ihnen, dass "Onkel" verschiedene Bedeutungen habe, Klara habe vielleicht gemeint "Freund". Später fragt das Kind "Bist du überhaupt irgendwo Onkel?"

Ich erkläre, dass mein Bruder Kinder habe, deren Onkel sei ich. Und füge hinzu, dass der Bruder ihres Vaters ihr Onkel sei. Und komme weiter zu den Tanten. Aber das Kind will das gar nicht wissen. Das eigentliche Thema war nämlich, wie ich selbst einzuordnen sei. Es war eine durchaus "persönliche" Frage, zu denen Kinder in diesem Alter nun fähig werden.

Soziale Rollen werden um den fünften Geburtstag herum wichtig. Der Schutzraum Kindergarten wird mental bereits verlassen, die Welt 'draußen' wartet auf das Kind; Papa und Mama, Oma und Opa sind nicht mehr die dominierenden sozialen Bezugspunkte. Bald werden Lehrer und Lehrerinnen, Freunde und Freundinnen stärkere Repräsentation in der kindlichen Psyche finden. Und das Kind zeigt mit seinem "Wo?", dass es die zentrale Bestimmung sozialer Rollen verstanden hat: die Kontextabhängigkeit! "Bist du irgendwo X" macht ganz wörtlich Sinn.

Zum Themenbereich sozialer Rollen gehören auch vorläufig noch tastend gestellte Fragen wie "Arbeitest du auch?" oder "Wo bestimmst du?". Wobei klar Fragen mitschwingen wie "Was bedeutet eigentlich 'Arbeiten'?" oder, zurück zur Beispielfrage, "Was bedeutet eigentlich 'Onkel'?". Denn dieses Wort "Onkel" begegnet dem Kind in verschiedenen Bedeutungen, für einen Verwandtschaftsgrad, für einen Bekannten/Freund der Eltern, eventuell auch von älteren Generationen gebraucht in der Formulierung "böser Onkel" oder aber für männliche Wesen allgemein, die nicht näher bekannt sind.

Die Kategorie "böser Onkel" (auch "böse Tante" ist bisweilen gebräuchlich) hat dazu geführt, dass heute "Onkel" fast nur noch als Verwandtschaftsbezeichnung anzutreffen ist. Dennoch wird die Bezeichnung nach wie vor auch allgemeiner verwendet - in Ermangelung passender Alternativen. "Patenonkel"
oder "Patentante" sind Kategorien, die dem Dilemma entgehen.


Svenja Rehse: Bist du älter als die Mama, 2018







Eröffungsfragen. Alter. Generationen

BIST DU ÄLTER ALS DIE MAMA? (5-)

Klara stellte die Frage nach einem Gespräch über ihren Besuch mit den Eltern bei Oma, Opa und den Cousins.

Meine Antwort war schlicht "Ja". Daraufhin erklärte sie mir, dass ich früher Opa werde als die Mama Oma. Das gelte auch für den Papa, der gleichfalls älter sei als die Mama. Und der Nachbarsjunge, der älter sei als sie, werde natürlich vor ihr Opa.

Kleinere Kinder bezeichnen alle Grauhaarigen als "Opa" und "Oma", auf der Basis einfacher optisch dominierter Assoziationen. Danach kommt die Dominanz der sozialen Rollen, Opa und Oma ist, wer Enkel hat. Das Kind jetzt sieht die Generationenbegriffe in größeren Kontexten (Oma-Mama-Enkelin) und versucht, sie mit Altersbeziehungen zu verbinden.
Der Kohärenzdruck führte Klara gar zu der abenteuerlichen Frage, ob ich, wenn ich noch älter werde (im Sinne von "noch mehr älter als die Mama"), dann ihr Opa sei. Die Logik des Systems hätte es ermöglicht, diese Frage auch dem eigenen Vater zu stellen, der ja auch älter ist als die Mama.
Dann erklärte Klara "Ich bekomme bestimmt Kinder!". Und zur Vervollständigung ihres Systems führte sie aus "Wenn ich heirate, klar!". Kinder bekommen ist also nicht nur an höheres Alter gebunden, sondern auch an eine soziale Struktur. Und abschließend skizzierte sie ihre eigene Entwicklung wie folgt: "Erst werde ich Schulkind, dann Erwachsener, - stockt - dann Jugendlicher, dann Oma." Ganz korrekt ist das noch nicht, aber die Tendenz - und die Denkleistung dahinter - ist unübersehbar, die Tendenz zu historischer Einordnung.

Die eigentlich schlichte Frage verweist damit auf einen wesentlichen Entwicklungsschritt, der die eigene Existenz sowohl altersbezogen als auch generationenbezogen einordnet in ein komplexes soziales Gefüge. Vor zwei Jahren hat sie noch empört abgelehnt, dass die Oma die Mama der Mama sei, "das will ich nicht!".

Sprachpragmatisch verlässt die Frage nach der Altersrelation bereits deutlich den Bereich der Antwortsuche. Das Kind will mit der Frage eigenes Wissen ins Spiel bringen und erproben. Offensichtlich hatte es bei Oma und Opa Alters- und Verwandtschaftsbeziehungen erörtert.

Svenja
                  Rehse: Wer hat die Saurier gefüttert?








Frageketten. Tier-Mensch-Verhältnis. Füttern

WER HAT DIE SAURIER GEFÜTTERT? (5-)

Eine Frage bei den Flugsaurier-Rekonstruktionen im Naturkundemuseum, gestellt im Gefolge der Fragen "Hat es die wirklich einmal gegeben?" und "Was haben die gefressen?".

Auf die Antwort, dass die andere Tiere gefressen haben, kam die Rückfrage: "Auch Menschen?" Auf die Erklärung, dass es damals noch keine Menschen gegeben habe, folgte Irritation. Und kurz darauf die Frage "Wer hat die dann gefüttert?"

Kinder erleben Tiere heute vor allem als Haustiere und in Zoos. Gelegentlich auch in der Landwirtschaft, bei Ferien auf dem Bauernhof oder wenn die Eltern einen Hof mit Tierhaltung haben. Überall werden die Tiere da gefüttert. Auch die Großkatzen im Zoo jagen ihr Fleisch nicht selbst, es wird ihnen gebracht. Ebenso den Echsen im Naturkundemuseum die Schnecken, den Schlangen die Mäuse. Die Vorstellung, dass Tiere auch ohne den Menschen leben konnten und können, ist eher abstrakt für das Kind. Selbst die Tiere in freier Wildbahn sind für das Kind ja meist mit einem Menschen verbunden, dem Jäger. Solche Erfahrungen haben kulturell bereits zu einer Verschiebung im Verhältnis Mensch-Tier geführt. Genannt werden in der Forschung etwa die Ausblendung der Tötung von Tieren durch Tiere und die mentale Domestikation der Wildtiere. Bis hin zu Konzepten wie dem "Paradise Engineering" von David Pearce, die Tieren das Jagen genetisch aberziehen wollen.

Auffallend ist hier die massive Inkongruenz in den Äußerungen des Kindes. Die Frage, ob die Flugsaurier Menschen gefressen haben, ist kaum zusammen zu bringen mit der Vorstellung, die Flugsaurier seien von Menschen gefüttert worden. Hier stehen erkennbar zwei unterschiedliche Weltdeutungen des Kindes nebeneinander, eine anthropozentrische, eher auf Harmonie und Bilderbuchstimmigkeit abzielende, und eine offene, antagonistische, von Abenteuergeschichten und Schauererzählungen ("Räuber" und Co.) gespeiste. Beide stehen häufig auch bei Erwachsenen im Widerstreit, werden jedoch in der Kommunikation nicht derart unvermittelt gegen einander geführt.

Die Frage ist auch interessant als Teil einer Fragenkette, die jeweils aus der Antwort eine weitere Frage ableitet. Wobei die Einstiegsfrage an die aktuelle Situation, an das dem Kind vor Augen Stehende anknüpft, die letzte Frage wieder den damals gegebenen Kontext des Naturkundemuseums (in welchem auch Beutegreifer in Vivarien leben) aktiviert.


Svenja Rehse: Hast du eine
                andere Stimme, 2018











Individuelle Merkmale

HAST DU EINE ANDERE STIMME? (5-)

Ich war erkältet und meine Stimme klang deutlich tiefer. Dem Kind ist das sofort aufgefallen und es fragte "Hast du eine andere Stimme?".

Die Erklärung kann darauf hinweisen, dass nicht nur Erkältungen, sondern auch "Stimmungen" die Stimme verändern. Es kann nachgefragt werden, ob das Kind selbst immer die gleiche Stimme habe.

Belegbar können Kinder bereits als Säuglinge, vermutlich sogar schon im Mutterleib, Stimmen unterscheiden. In der Kindesentwicklung gehört die bewußte Registrierung individueller und situativer Verschiedenheiten in der Stimmlage von Menschen jedoch zu einer relativ späten Stufe, in der dann auch erste Bewertungen (gefällt mir, gefällt mir nicht, mag ich, mag ich nicht) auftreten. So hat Klara mit gerade Vier auf die Stimme von Joe Cocker mit der Frage reagiert, ob der "sauer" sei.

In den ersten beiden Jahren war für das Kind die Stimme an Erwachsenen wesentlich für das Erkennen und Vertrautsein. Ich durfte meine Stimme z.B. nicht verstellen wenn ich was erzählte, oder um für Spielfiguren zu sprechen. Noch mit eineinhalb Jahren hat sie es energisch zurückgewiesen, wenn ich für ihre Puppe gesprochen habe. Einige Monate später allerdings hat sie dann begeistert reagiert, wenn ich meine Stimme verstellt habe, um für Puppe oder Plüschtier zu sprechen. Sie wollte das dann auch zügig erweitert hören auf Gegenstände und hat selbst dann auf eine Jacke gehauen und für die Jacke "Auaaua" gerufen. Es dauerte dann aber noch etwa ein Jahr, bis sie selbst mit verstellter Stimme für Bär oder Puppe sprach! Damit verbunden waren das Lernen von Rollenübernahmen, die ersten theatralischen Neigungen.

Mit sechs überrascht sie mich mit der Bemerkung zu einem Kleidungsstück von mir: "Das riecht wie du!" Nun wissen wir, dass bereits Babys die Mutter auch am Geruch erkennen. Der Geruch dürfte für die Bindung an Personen eine wichtige Rolle spielen, vermutlich eine wichtigere als die Stimme. Wir alle wissen, wie sehr auch Erinnerungen an Gerüche gebunden sind, nicht erst seit den Madeleines von Marcel Proust ("Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"). Die Geruchswahrnehmung ist im stammesgeschichtlich ältesten Gehirnteil angesiedelt. Allerdings habe ich noch von keinem Kind gehört, "du riechst aber heute ganz anders".

Bemerkenswert ist, dass das Kind hier die Stimme offensichtlich nicht als einen wesentlichen Teil der Persönlichkeit ansieht. Impliziert ist in der Frage ja auch die Vorstellung, dass Erwachsene nicht nur Kleidung und Frisur, sondern auch die Stimme einfach wechseln können.

Svenja
                  Rehse: Die will wohl unbedingt gewinnen!?









Konstatierende Frage. Wahlen. Politik. Werbung

DIE WILL WOHL UNBEDINGT GEWINNEN!? (5-)

Es ist Wahlzeit, Klara sieht in der ganzen Stadt die Wahlplakate, bekommt auch Erklärungen dazu, was da los sei. Als sie das Plakat einer bestimmten Kandidatin öfter sieht in der Nähe ihres Kindergartens meint sie einmal DIE WILL WOHL UNBEDINGT GEWINNEN!?

Hier kann ein Gespräch über Politik, Demokratie, Wahlen und Wahlkampf angeknüpft werden. Aber zurückhaltend, das Thema ist für ein Kind in diesem Alter vor allem in einer Hinsicht interessant: Wer bestimmt über was. Das Prinzip der Repräsentation habe ich erklärt über die Entlastung von Papa und Mama, die ja nicht dauernd sich auch Gedanken machen können über Kindergärten, Spielplätze, Straßen.

Eine der sehr "erwachsenen" Äußerungen in dieser Phase. Das Kind kann hier seine eigenen Erfahrungen beim Spielen mit anderen Kindern übertragen auf ein Erwachsenenphänomen, den Wahlkampf. Dies bedeutet einen wichtigen Brückenschlag zwischen der Welt der Kinder und der der Erwachsenen. Seht her, auch die Erwachsenen wollen doch gerne gewinnen, lautet die implizite Botschaft an ihre eigene Welt. Zugleich ist aber auch eine kritische Distanz zu diesem Aspekt des Gewinnen Wollens spürbar. Einmal meint sie beim Anblick der Plakate "Die nerven!", ein andermal "ich kenn die aber gar nicht!".
Ob man im Gespräch hier eher auf Politik oder auf Wahlkampf/Werbung abhebt, hängt von den Umständen und vom Kind ab, beides bietet sich an. Ich habe eher den politischen Aspekt angesprochen. Doch bei meinen Ausführungen zu Repräsentation und Demokratie interessierte sie vor allem eines, "Und wer bestimmt dann?" Auch wenn ich von meiner eigenen politischen Arbeit erzähle, will sie vor allem wissen, wo ich "bestimme". Der Themenbereich "Bestimmen" kam im 5. Lebensjahr auf und hielt noch die ganze Grundschulzeit über an, mit einem weiteren Hoch im 10. Lebensjahr.

Dass jemand anderer den Papa und die Mama vertritt bei politischen Entscheidungsprozessen, befremdet sie. Als ich erkläre, dass der Papa und die Mama sonst noch viel öfter nicht zuhause sein könnten, wenn sie immer selber entscheiden müssten, ob eine Straße gebaut wird oder eine neue Schule, findet sie das mit der Repräsentation dann doch ganz gut. Auch wenn sie der Aspekt des "Gewinnens/Verlierens" bei einer Wahl (und auch bei demokratischen Abstimmungen) noch weiter beschäftigt. "Und wenn man verliert?" Sie findet dann aber selber die Antwort, die so ähnlich manchmal Politiker sich geben, meist erst am Ende der Karriere: "Dann kann die Frau wieder mit ihren Kindern spielen!".


Svenja Rehse:
              Ist das ein Tier?








Pflanze-Tier-Unterschied. Ordnung der Dinge

IST DAS EIN TIER? (5-)

Die Frage "Ist das ein Tier?" stellte Klara wiederholt zu den Korallen im Naturkundemuseum Karlsruhe, für die das Museum unter anderem bekannt ist. Seit ihrem vierten Geburtstag beschäftigten diese Wesen sie immer wieder. Mit Fünf war ihr auch schon ganz klar durch eigenes Urteil, welches Kalkgebilde auf dem Ausstellungstisch zu welcher Koralle im Aquarium mit der Muräne gehörte.

Es genügt, ihr zu sagen: "Ja, das ist ein Tier". Und zu erklären, dass es manchmal schwierig sei, Tiere und Pflanze zu unterscheiden - dass ganz einfache Tiere oft wie Pflanzen aussehen. Die Seegurke ein paar Aquarien weiter heißt sogar wie eine Pflanze. Sie kann sich aber vom Platz bewegen, im Unterschied zur Koralle, die auch Blumentier heißt.

Für Kinder in diesem Alter ist es einerseits wichtig, klare Zuordnungen zu treffen, das ist Tier, das ist Pflanze. Andererseits können sie durchaus damit umgehen, dass es einen Bereich der Unklarheit gibt, Pflanzen mit Tiereigenschaften (fleischfressende Pflanzen z.B.), aber auch Tiere mit Pflanzeneigenschaften (Korallen z.B.). Hier helfen Bezeichnungen, die als Brückenschlag dienen, wie Seegurke, Seeanemone oder Blumentier. Auf der anderen Seite haben wir fleischfressende Pflanzen. Allerdings sind Kleinkinder noch primär am Sammeln von naturkundlichem Wissen, die Systematik sollte sie nicht überfordern, also nicht unbedingt gleich noch mit den Pflanzen kommen, die Tiereigenschaften haben, sondern anschauungsnah bei den Tieren mit Pflanzeneigenschaften bleiben.

Die Frage nach der Grenze zwischen Pflanzen- und Tierreich ist eine der Grundfragen der Biologie. Von einem Kleinkind gestellt zeigt diese Frage, dass es beginnt, Begriffe zu lernen, dass es nicht mehr zufrieden damit ist, den Wortschatz nur zu erweitern, nur Namen und Etiketten zu lernen. Es will ein verlässliches System, will die "Ordnung der Dinge" nach objektiven (von den Erwachsenen geteilten) Kriterien klären, nicht mehr nur nach eigenen Schemata, die im vierten und fünften Lebensjahr dominieren, wie die Systematisierungsfrage danach, "wer alles Regenwürmer mag".

Mit 10, erste Klasse Gymnasium, fragt sie uns beim Pilzesammeln, was wir meinen, ob Pilze Pflanzen seien. Um uns dann aufzuklären, dass Pilze weder dem Tierreich, noch dem Pflanzenreich angehören. Biologieunterricht.

Svenja Rehse: Bist du meine
                  Mama, 2018







Verwandtschafts- und Freundschaftsbeziehungen. Soziale Rollen

BIST DU MEINE MAMA? (5-)

Die Tochter war mit dem Vater zehn Tage auf einer Reise durch Deutschland, bei verschiedenen Freunden und Verwandten, hat die unterschiedlichsten Familien besucht. Und da kommt die Mutter wieder dazu, mitten hinein in eine Großfamilie, in der die Tochter und der Mann sich gerade aufhalten. Und das Kind fragt "Bist du meine Mama?" - nicht bei der ersten Begrüßung, sondern danach mehrere Male beim vertrauten Zusammensein.

Die Mutter hat gelassen darauf reagiert, "ja, das bin ich, ich war jetzt nur auf einer langen Dienstreise". Im nachhinein hat sie sich allerdings auch ihre Gedanken gemacht. Mütter sollten auf diese Frage keineswegs entsetzt reagieren oder mit übersteigerter Zuwendung. Es ist eine ganz sachliche Frage, die es sachlich zu beantworten gilt.

Die Frage kann allgemein eine Folge dessen sein, was schon bei der Frage "Bist du mein Papa" erörtert wurde. Es gibt allerdings auch andere Herleitungen. Kinder werden sehr früh damit konfrontiert, dass es einen Unterschied geben kann zwischen "leiblichen" und "betreuenden" (angeheirateten, dazugezogenen, vorübergehenden) Vätern und Müttern. Da erstaunt es nicht, wenn Kinder selbst bei der Mutter einmal die Gewissheit verlieren und nach Orientierung suchen: Bist du meine leibliche Mama oder hast du mich adoptiert oder so was? Auch wenn das Kind die Frage selbst noch gar nicht so versteht (und auch Begriffe wie "Adoption" nicht). Die "richtige" Antwort könnte also lauten: "Ja, ich hab dich auf die Welt gebracht." Oder es ist vielleicht an der Zeit, etwas aufzuklären, soweit das Kind fragt und altersgerecht - mit der Versicherung z.B. "jetzt bin ich deine richtige Mama".

In Zeiten zunehmend unklarer Rollenbilder von Mann und Frau ist es auch nicht verwunderlich, wenn ein Vater von seinem Kind einmal gefragt wird "bist du meine Mama?" Dies wird sicherlich noch unterstützt durch ein Adoptionsrecht für homosexuelle Paare oder durch gleichgeschlechtliche Paare, die gemeinsam das Kind eines der beiden Partner aufziehen. Zumal diese Themen natürlich auch in Kinderbüchern erscheinen.

Doch auch unabhängig davon sind gerade die vermeintlich so elementaren Kategorien wie "Mama" und "Papa" für Kinder in verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung plötzlich (erneut) fraglich - und das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Im Alter von Fünf etwa die, dass nun Wörter allmählich zu Begriffen werden - das heißt, zu etwas mit einem definierbaren Sinn, nicht einfach zu einem gelernten "Etikett". Was genau unterscheidet denn die Mama von der Patentante, der Oma, der Tante, der Erzieherin, der Tagesmutter, der netten Nachbarin, die auch oft auf das Kind aufpasst, ihr sogar manchmal etwas zu Essen macht? Zumal die Verknüpfung der Vorstellung vom Ich als Baby, das einmal bei der Mama im Bauch war, mit dem jetzigen Alterszustand nicht wirklich abgeschlossen ist. Das zeigt sich etwa, wenn Kinder dieses Alters Abbildungen von sich selbst als Baby sehen. Da ist oft eine große Distanz und Irritation spürbar.
 






Svenja Rehse: Wann habt ihr gehochzeitet, 2018











Wortbildung. Zeitlinien

WANN HABT IHR GEHOCHZEITET? (5-)

Das Kind wollte dies von seinen Großeltern wissen, als diese Goldene Hochzeit feierten. Eigentlich ist "Wann habt ihr gehochzeitet?" keine sonderlich interessante Frage. Ich stelle sie hier dennoch vor, da sie zu einem Typus von Kinderfragen gehört, der von Eltern gerne gesammelt wird. Er repräsentiert in besonderer Weise das, was mit "Kindermund" landläufig gemeint ist: Amüsante sprachliche Fehlleistungen.

Aber liegt hier wirklich eine sprachliche Fehlleistung vor? Das Verb "hochzeiten" war durchaus bis ins 20. Jahrhundert hinein gebräuchlich. Was das Kind natürlich nicht weiß. Die Großeltern korrigieren nicht, sondern verwenden in ihrer Antwort einfach "geheiratet". Und verwenden auch gleich noch das Substantiv "Hochzeit" mit "unsere Hochzeit war im Sommer".

Das Kind wendet lediglich eine einfache Regel zur Bildung von Verben und zusätzlich eine einfache Regel zur Bildung des Partizips Perfekt an. Die erste Regel macht aus "Hochzeit" das Verb "hochzeiten", die zweite aus dem Infinitiv das Partizip Perfekt "gehochzeitet". Alles perfekt! Dass heute nur noch das aus "Heirat" gebildete Verb "heiraten" gebräuchlich ist, macht den kindlichen Ausdruck für Erwachsene zum verzeihlichen, amüsanten Fehler.

Kinder sind sprachlich kreativ und wenden Regeln zur Wortbildung und zur Flexion von Verben und Substantiven gelegentlich sehr eigenmächtig an. Diese Eigenmächtigkeit ist für Erwachsene bereits amüsant. Tritt sie in einer Frage auf, die eher "erwachsen" wirkt, Erwachsenenkommunikation deutlich nachahmt, entsteht eine Spannung, die Fragen wie die zitierte für Erwachsene zusätzlich berührend macht.

Nebenbei verrät sie allerdings auch einiges über die Entwicklung des Kindes, es hat bereits eine grobe Vorstellung von der Organisation menschlicher Lebenszeit, es kennt konventionelle Formen sozialer Kommunikation und es kann souverän seinen Sprachschatz weiterentwickeln und gezielte Fragen stellen. Wichtige Elemente der "Schulreife" sind bereits gegeben.

Die geschickteste Weise, ein Kind sprachlich zu korrigieren ist die, in der Antwort einfach die vom Erwachsenen für korrekt gehaltene Form zu verwenden. Das Kind lernt durchaus früh, dass es verschiedene Konventionen gibt, Synonyme, dialektale Varianten etc. pp. Mit der Frage "was ist nun richtig, 'gehochzeitet' oder 'geheiratet'" kommt es irgendwann dann ohnedies von selbst - falls es nicht einfach die Konvention akzeptiert.

Svenja
                  Rehse: Warum sind die Kirschen jetzt sauer?









Geschmack. Relationen

WARUM SIND DIE KIRSCHEN JETZT SAUER? (5-)

Die Frage stellte Klara, als sie von Kirschen aß, die sie ein paar Stunden zuvor süß fand. Dazwischen hatte sie Milchreis gegessen.

Ich erklärte ihr, dass die Kirschen jetzt nur im Kontrast zum Milchreis - der sehr süß war, ein Fertigprodukt aus dem Beutel - sauer schmeckten. Sie blickte skeptisch. Wieso konnte etwas, das eigentlich süß war, plötzlich sauer sein. "Die sind sauer geworden!" war ihr eigener Erklärungsvorschlag.

Ich brachte noch einige weitere Beispiele zu Reizschwellenphänomenen, z.B., wie es plötzlich ganz dunkel ist im Zimmer abends, wenn man das Licht ausmacht - wie die Augen sich aber an die Dunkelheit gewöhnen und man bald wieder was erkennen kann, wenn von draußen noch ein bisschen Licht hereinkommt. Sie hörte zu, eher skeptisch, keineswegs überzeugt. Dann probierte sie die Kirschen erneut und meinte nach einigen Kirschen: "Jetzt sind sie wieder süß!" Sie konnte aber nicht umhin, fast triumphierend festzustellen: "Aber nicht so süß wie vorher!" Sie wollte festhalten, dass sich eben doch etwas objektiv verändert habe.

Ich mache nochmals einen Anlauf und gebe ihr ein Beispiel aus dem Bereich Lärm: Wenn die Leute im Urlaub in den Bergen waren, wo es einsam und ruhig war, und sie kommen wieder in die Stadt, denken sie, das ist aber laut hier. Und wenn sie aus der Stadt in die Berge kommen, denken sie, das ist aber leise hier. Klara hört sich das geduldig an und vermeldet dann lakonisch: "Das hab ich noch nicht gedacht!"

Über ihr eigenes Denken spricht sie seit etwa Viereinhalb. Und sie nimmt es sehr ernst und als ein Zeichen, dass sie nun wohl so gut wie erwachsen sei. Dieses selbstbewusste Vertrauen in das eigene Denken zugleich mit dem Vertrauen in die eigenen Sinneswahrnehmungen (sauer=sauer, süß=süß) gehören wohl zusammen.

Und sie hat durchaus auch Recht mit ihrem Beharren auf der aktuellen Erfahrung. Ständig Erfahrungen miteinander zu vergleichen, ist ein Erwachsenenlaster. Und wir geben viel Geld aus, um im Urlaub oder mal ein Wochenende lang nur im "Hier und jetzt" zu sein!

Ein Jahr später hat sie das Geschmacks-Phänomen allerdings selbst erkannt, auf das ich sie hier hinweisen wollte - und zwei Jahre später erklärte sie es anderen Kindern.



Svenja Rehse:
              Wirst du jetzt eine Bettlerin, Mama?








Soziale Rollen. Arbeit. Geld. Einkaufen

WIRST DU JETZT BALD EINE BETTLERIN, MAMA? (5-)

Klara war mit der Mutter einkaufen. Es war ein großer Einkauf und das Band an der Kasse wurde gut gefüllt. Klara war der Meinung, dass die Mama nun kein Geld mehr übrig habe und fragte: "Wirst du jetzt bald eine Bettlerin?".

Die Mutter beruhigt (obgleich das Kind keineswegs beunruhigt scheint) und erklärt, dass sie auf der Bank noch Geld habe und morgen ja wieder arbeiten gehe und Geld verdiene.

Klara hatte bereits ein breites Spektrum bettelnder Menschen kennengelernt, die Punker in Berlin mit Schäferhund, die "mal'n Euro" wollten, einen Herren mittleren Alters mit perfekter Kleidung und einem propperen Rucksack (Kommentar von Klara: "Der hat aber schöne Schuhe an!"), der weit entfernt vom Bahnhof um Geld für eine Zugfahrkarte "nach Hause" bat, die ältere Frau am Boden vor dem Supermarkt mit Kaffeebecher, der junge Mann im Rollstuhl. Und dazu hat sie schon erfahren, dass nicht alle Leute, die arbeiten, davon auch z.B. ein Auto kaufen können, obwohl sie eines wollen. Andererseits hat sie auch gelernt, dass es für arme Leute soziale Unterstützung gibt.
Der kleinste gemeinsame Nenner der verschiedenen Bettler und Bettlerinnen, die sie gesehen hatte, war für sie, dass die kein Geld mehr hatten und welches brauchten. Und das kann ja auch der Mama passieren. Was Bettler ausmacht, hat sie noch nicht verstanden, ebenso wenig wie sie wirklich begreift, was "Arbeit" bedeutet und "Geldverdienen". Doch diese Themen interessieren sie nun, soziale Rollen werden für sie interessant und zum Frageanlass.

Dass die Mama für sie zur Bettlerin werden könnte, macht auch deutlich, wie unbefangen sie die verschiedenen sozialen Rollen noch betrachtet. Ebenso, wie die Rolle der Mutter als "Mama" gelegentlich fraglich werden kann, sind auch Beruf, Geld, Besitz, Arbeit noch nicht fest zugeschrieben. Womit sie im Grunde ein wirklichkeitsnäheres Bild von der heutigen Realität hat als die meisten Erwachsenen.

Einige Wochen später, als die Mutter bei einem Essen mit Freunden die Bezahlung übernimmt und Geld zurückweist, das ihr als Anteil am Essen gereicht wird, reagiert das Kind empört, weint fast: "Dann hast du doch kein Geld mehr, Mama!". Und auch das Bettlerin-Thema kam nochmals bei einem größeren Einkauf. Auf die Beruhigung durch die Mutter mit dem Hinweis auf ihre Bank und ihre Arbeit kam dann die Rückfrage, warum Bettler nicht einfach auch auf die Bank gehen und dort Geld holen.

Interessant an diesem Thema ist auch, wie das erste Empfinden für soziale Differenzen gleich verbunden auftritt mit der Sorge um sozialen Abstieg. Das Bettler-Thema beschäftigt Kinder in diesem Alter offensichtlich häufig, auch im Freundeskreis von Klara. Die Märchen der Gebrüder Grimm greifen das Armutsthema häufig auf, in der Jugendliteratur hat Mark Twains "The Prince and the Pauper", dt. "Prinz und Bettelknabe", ein Modell geschaffen, das Klara mit 9 Jahren intensiv beschäftigt.

Svenja
                  Rehse: Hoert der Himmel auch einmal auf?









Zählen. Messen. Raum. Unendlichkeit

HÖRT DER HIMMEL AUCH EINMAL AUF? (5-)

Die Frage stellt das Kind, als wir im Auto fahren und vor uns und über uns ein wunderbar blauer Himmel mit malerischen Wolkenformationen sich dehnt.

Ich erkläre, dass der blaue Himmel, den wir jetzt sehen, ein Ende habe. Das Blaue sei nämlich die Luft um unsere Erde, wo auch die Wolken drin sind. Der schwarze Himmel, den wir nachts sehen, mit den Sternen, habe kein Ende.

Kant hat in seiner "Kritik der praktischen Vernunft" (Schlusswort) die Unendlichkeit des Himmels "über mir" sehr schön in seinem Vergleich mit dem "moralischen Gesetz in mir" dargestellt, was ich nicht erwähne. Es will dann wissen, ob der Himmel Karlsruhe gehöre (der Stadt, in der wir uns befinden), ob Karlsruhe da "bestimmen" darf. Ich erkläre, dass der Himmel allen gehöre, aber Karlsruhe z.B. mitbestimmen darf, ob da direkt über Karlsruhe Flugzeuge durch den Himmel fliegen, dass es auch am Himmel so was wie "Straßen" gebe, wo die großen Flugzeuge fliegen dürfen.
Erneut fällt hier die Kategorie des "Bestimmens" auf, die es in diesem Alter sehr interessiert und beschäftigt. Damit werden auch abstrakte Größen greifbar. Mit dem Bewusstsein von Zahlen und Mengen entwickelt sich auch eine erste vage Vorstellung von Unendlichkeit, zumindest der Möglichkeit dazu. Eine Grenze des Himmels ist ja nicht zu sehen. "Wo hört der Himmel auf?" - da, wo Philosophie und Religion anfangen?

Wim Wenders hätte die Frage nach der Zugehörigkeit des Himmels zur Stadt wohl gefallen. "Der Himmel über Berlin" (so der Titel eines berühmten Wenders-Films von 1987) ist eben ein anderer als der über Karlsruhe.

Bei einer späteren Situation, kurz vor ihrem 6. Geburtstag, beantwortete sie diese Frage mit einem klaren "Ja" - es sei ja "unser" Himmel, über uns. Und mit gerade Sieben erklärte sie mir bei einem von ihr sehr verständig initiierten Gespräch darüber, dass es keine letzte Zahl gebe, "aber der Himmel hört einmal auf, das weiß ich, das kann ich dir genau sagen!".

Den Unterschied zwischen "Himmel" als Erdatmosphäre und "Kosmos" habe ich angesprochen, aber er hatte keine erkennbare Bedeutung für sie.


Svenja Rehse: Was isst der liebe Gott








Nahrungsmittel. Gottesbild. Vegetarismus

WAS ISST DER LIEBE GOTT? (5-)

Es ging um Klaras Lieblingsessen. Dazu gehörten in dieser Zeit Döner, Nudeln und Reis. Und Schokolade, wie sie halb ernsthaft, halb mit Schalk hinzufügte. Und dann wollte sie wissen "Was isst der liebe Gott?" - gab sich aber gleich selbst die Antwort: "Alles, außer Menschen und Tieren!" Und fügt, beim Blick aus dem Fenster, hinzu: "Und Häuser, Häuser und so was auch nicht."

Eine der Fragen, bei denen Erwachsene zurückfragen sollten, ein Gespräch entwickeln. Denn natürlich haben Erwachsene auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Es geht hier "um Gott und die Welt".

Das Kind schafft sich ein stimmiges Weltbild, in welchem Lücken zunehmend geschlossen werden. Gott ist eine Größe, die es von den Erwachsenen übernommen hat, die nicht ganz in seinen Erfahrungshorizont passt (in den der Erwachsenen auch eher selten). Also löst es das Problem, indem es Gott (wie die Erwachsenen auch) anthropomorph ausgestaltet. Einmal, in einer anderen Situation, versichert sie mir auch, Gott sei ein Mensch. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, sie bezieht sich auf die Christologie, deren "Gott und Mensch zugleich", und sie fügte hinzu "er ist gestorben und dann wieder gekommen".

Dabei bleibt in der Thematisierung der Ernährung Gottes in der vorliegenden Frage bei ihr das Bewusstsein, dass Gott nicht so einfach erfasst werden könne, erhalten. Denn es ist für sie durchaus ernsthaft thematisierbar, ob Gott auch Häuser esse, irgendwie hat er ja einiges mit Riesen gemein, die sowas in Kinderbüchern gelegentlich tun. Also muss das mit den Häusern explizit ausgeschlossen werden, da Gott nett zu den Menschen ist.

Bemerkenswert ist, dass ihr Gott auch keine Tiere isst. Das hat wesentlich damit zu tun, dass er "lieb" ist und verweist uns auf die gerne zitierte "Tierliebe" von Kindern. Diese Tierliebe hat verschiedene Ursachen, eine davon dürften die ersten Bilderbücher sein, die in der Regel von Tieren handeln, eine andere der Umgang mit Kuscheltieren, eine dritte die erlebte emotionale und soziale Nähe von Kindern und Tieren (Tiere werden versorgt wie Kinder, sind eher "untergeordnet", häufig im städtischen Erfahrungsraum auch körperlich kleiner als erwachsene Menschen).

Bei Klara hatte die Tierliebe spätestens ab Vier ganz deutlich auch eine Dimension von Solidarität mit den Tierkindern. Es war für sie früh klar, dass Jäger zwar große Tiere ("Erwachsene") schießen dürften, aber kleine ("Kinder") keinesfalls. Darüber, dass Tiere Kinder haben und "Familie" hat sich für sie um den 5. Geburtstag herum ein Bewusstsein von der Mensch-Tier-Nähe entwickelt, das offensichtlich unabhängig war von den frühen Kuscheltier- und Bilderbuchtier-Erfahrungen.

Svenja
                  Rehse: Wie sieht es da drinnen aus?









Indirekte Fragen. Höflichkeit. Soziale Rollen. Schulreife

WIE SIEHT ES DA DRINNEN AUS? (5-)
 
Klara steht vor meiner Gartenhütte, geht auf die Tür zu und fragt "Wie sieht es da drinnen aus?". Sie könnte auch fragen "Darf ich da mal reinschauen?" oder ähnliches.

Ich schmunzle, sie schmunzelt auch. Ich sage, "Schau doch mal selber rein, ich mach dir auf". Eine schlechte Antwort wäre hier: "Frag mich doch einfach, ob du da rein darfst!" Sie würde ignorieren, dass das Kind hier (auch) eine Kompetenz erprobt, die Fähigkeit, indirekte Fragen zu stellen. Es wird sehr bald lernen, dass nicht alle Erwachsenen indirekte Fragen verstehen oder schätzen - und dass manche sie bevorzugen. 

Soziale Rollenwahrnehmung, Höflichkeit, Sensibilität für Stilebenen, rhetorische Kompetenz (aktiv und passiv): Mit Fünf entwickelt sich das, was auch als "Schulreife" benannt wird, rasant - die Kompetenz zu gemeinsamem Arbeiten und Lernen. Dazu gehört wesentlich die Kompetenz, rhetorische Sprachmittel korrekt einzuschätzen, Metaphern, indirektes Sprechen zu entschlüsseln und selbst einzusetzen.

Hinter der Frage hier stehen vermutlich zwei Fragen: "Darf ich da rein?" und "Kannst du mir bitte die Tür aufmachen?". Die Sprechakttheorie hat uns hierzu viel gelehrt. Ein bekanntes Beispiel ist der Satz "Hier ist es aber kühl" als indirekte Formulierung der Bitte "Könnten Sie mal das Fenster schließen?".

Mit ein wenig Sprechakttheorie sollten sich Erwachsene mit Kindern in diesem Alter beschäftigen. Vor allem sollten sie nicht vorschnell darauf drängen, dass das Kind seine Fragen doch bitte "direkt", "gerade heraus" (und die Erwachsenen meinen damit zumeist auch: ehrlich, ohne Heuchelei - und bewerten damit das Kind) stellen. Und sie sollten natürlich auch schauen, welche Muster sie selbst verwenden, sie sollten vielleicht zunächst einmal selbst mehr "gerade heraus" reden, wenn sie das vom Kind erwarten. Denn natürlich übernimmt das Kind die kommunikativen Muster seines Umfeldes - zumal wenn sie seinen Bedürfnissen entsprechen.

Eine ganz andere und doch ähnlich indirekte Frage hätte lauten können "Was ist da drinnen?" Doch Klara hat eine Frage gestellt, die weniger sachorientiert und stärker einschätzungsorientiert ist. Man könnte auch sagen: "ästhetisch" interessiert. Dies entspricht den Merkmalen ihres frühesten Spracherwerbs. Dingwörter wie "Ball", "Wauwau" oder "Nane" (Banane) haben eine weit geringere Rolle gespielt als Aktionswörter wie "dada" (bewegen, gehen, Ausflug machen), "ena" (essen, haben wollen, noch mehr), "da" (das gefällt mir, das möchte ich haben, schau mal), "auf" (ich will da hoch, ich will hochgenommen werden) oder Eigenschaftswörter wie "heiß".

Noch im Gymnasium hat sie später Probleme mit der Großschreibung von Nomen, die sie beharrlich ignoriert. Das mag mit an der Montessori-Pädagogik ihrer Grundschule liegen, könnte aber auch auf ihre frühe Geringschätzung von Nomen zurückweisen. Ihre ersten Wörter waren nicht gegenständlich bezogen, sondern auf Handlungen oder Eigenschaften.


Svenja Rehse: Kann die Mama ein Affenbaby
              bekommen







Tier-Mensch. Familie. Evolution. Implizites Wissen

KANN DIE MAMA EIN AFFENBABY BEKOMMEN? (5-)

Die Frage fällt im Zoo. Klara steht vor einem Poster mit einer Schimpansenmutter, die ein Schimpansenbaby im Arm hält. Das Poster mutet an wie eine Madonnendarstellung. Und Klara spürt, was die Abbildung sagen möchte: Schaut her, sie sind wie wir, es sind unsere Verwandten.

Meine Antwort ist, dass Menschenmamas nur Menschenbabys, Affenmamas nur Affenbabys bekommen können. Ich versuche, herauszufinden, wie sie auf diese Frage kommt, ohne ihr eine Antwort in den Mund zu legen (also nicht: "Meinst du, weil das aussieht wie die Mama mit deinem kleinen Bruder?") und frage schlicht "Warum fragst du das?". Sie antwortet mit "Weiß nicht".

Es ist das Alter, in welchem Klara Tiere und Menschen fast schon systematisch unter den gleichen Kategorien betrachtet. Sie sammelt unterschiedlich große Weinbergschnecken zusammen und erklärt begeistert: "Eine richtige Familie!". Sie will bei allen Tieren wissen, wer der "Papa" und wer die "Mama" ist - was sie schon früher tat, aber nun mit intensiverem Interesse. Und sie fragt, ob Affen auch Schwimmen, Fahrradfahren oder Ähnliches können. Sie hat offensichtlich ein implizites Wissen von der Verwandtschaft zwischen Affen und Menschen.

Was durchaus auch nahe liegt aus Kinderperspektive - etwa insofern, als Tiere vieles nicht können, was Kinder auch (noch) nicht können. Erstaunlich ist ja nur, dass die Menschheit zu dieser Erkenntnis erst im 17. Jahrhundert mit den Darwin-Vorläufern gelangte. Wobei es zu weit ginge, hier beim Kind schon eine Vorstellung von Evolution zu vermuten. Es hat ja noch Mühe, auf der Zeitachse Oma, Mama und sich selbst korrekt zu verorten. Eine Vorstufe auf dem Weg, Evolution zu denken, ist aber hier schon zu erkennen.

Mein Versuch, Hintergründe zu ihrer Frage zu erfahren, scheiterte. "Warum"-Fragen, die sich auf ihre Motivationen beziehen, kommen noch nicht an, Selbstreflexion ist zwar in Ansätzen vorhanden, aber vorwiegend spontan, nicht abfragbar. Andere als "Warum"-Fragen hätten bereits eine Antwort suggerieren können, das wollte ich nicht. Beispielsweise hätte die Rückfrage "Meinst du, weil Affenbabys so ähnlich aussehen wie Menschenbabys?" ein einfaches "Ja" bekommen können, ohne dass sie dies unbedingt wirklich meinte. Weiter bringen Fragen wie: "Meinst du, sie könnte ein Elefantenbaby bekommen?"

   

Svenja
                  Rehse: Was heißt "überlistet"?









Fragen über Sprache. Begriffslernen. Wortschatz. Schulreife

WAS HEIßT "ÜBERLISTET"? (5-)

Die Frage ist nicht sonderlich aufregend, steht aber für einen Typus, der charakteristisch und interessant ist innerhalb der geistigen Entwicklung des Kindes. Gestellt hat das Kind sie im Zoo vor dem Luchsgehege, als ich ihm erklärte, wie die Tierfänger den schlauen Luchs "überlistet" haben, um ihn zu fangen und in den Zoo zu bringen. Ähnliche Fragen (nach Wortbedeutungen) kamen in den vergangenen Wochen häufiger.

Ich habe "überlistet" dann ersetzt durch "ausgetrickst", davon ausgehend, das Kind habe den Ausdruck schon öfter einmal gehört. Dazu habe ich erklärt "die haben dem Luchs eine Falle gestellt!". Darauf das Kind: "Was ist eine Falle?" - Da hatte ich mich selbst in die Falle geführt, eine erklärungsbedürftige Erklärung gegeben. Um einem tendenziell infiniten Rekurs zu entgehen, beschrieb ich konkret, wie man Raubiere fangen kann, mit einem Köder und einer großen Kiste.

Das Konzept "überlisten" ist für das Kind noch schwer zu begreifen. Es wendet selbst noch selten "Tricks" an  - und meistens klappen die nicht, da es sich selbst verrät. "Zaubertricks" in diesem Alter sind in der Regel unfreiwillig komisch, erwarten vom Publikum viel guten Willen. Insofern fragte das Kind nach einem Konzept, das es noch nicht beherrschte. Als ich einige Tage später wieder einmal "überlisten" verwendete, tadelte es selbstbewusst: "Ich weiß nicht, was du meinst". Da gerade Fussball-Weltmeisterschaft war und das Kind etwas davon mitbekommen hatte, brachte ich ein Beispiel aus diesem Bereich: "Wenn ein Fussballspieler ein Tor schießen möchte und rennt erst nach Rechts, dann meint der Tormann, der will Rechts reinschießen - und rennt nach Rechts. Und dann schießt der Fussballspieler nach Links ins Tor. Dann hat er den Tormann überlistet." - "Ach so, ja!"


Begriffserklärungen für Kinder haben ein Problem: Es sollten möglichst einfache und anschauungsnahe Erklärungen verwendet werden, um nicht in einen infiniten Rekurs zu geraten. Damit bleibt oft die Exaktheit auf der Strecke, aber damit muss man sich als erklärender Erwachsener abfinden. Und die Bemühung, einen Sachverhalt so zu formulieren, dass ihn auch ein Kleinkind verstehen kann, ist ein gutes Training. Nicht aufgeben! Und immer schön konkret bleiben.

Das Kind zeigt mit dieser Frage, dass es nun endgültig nicht mehr zufrieden damit ist, nur neue Wörter zu lernen und den Anwendungskontext mitzulernen. Es will auch begreifen, was die Wörter analytisch bedeuten. Insbesondere bei Wörtern, die (manchmal nur scheinbar) schon bekannte Wörter enthalten, aber durch diesen Bezug nicht erklärt sind (z.B. "Maulbeeren" oder "Kaktus"). Da will sie Erklärungen, "Warum heißen die/heißt der so?", verbindet ihre Fragen mit Kommentaren wie "das ist lustig" (in den genannten beiden Fällen, wegen "Maul-" und "Kak-").  


Svenja Rehse: Haben Tiere Wackelzähne, 2018







Eigenschaftsfragen. "Haben"-Fragen. Milchzähne. Tier-Mensch-Analogien. Naturforschung

HABEN TIERE WACKELZÄHNE? (5-)

Die Frage nach den Wackelzähnen von Tieren stellte Klara bei der Erforschung eines eigenen Wackelzahns (= Milchzahn, der sich verabschiedet).

Auf diese Frage darf durchaus ausführlicher naturkundlich geantwortet werden, das Kind will das nun genauer wissen - also welche Tiere welche Art von Zähnen haben und wie die sich entwickeln.

Die eigene Betroffenheit ist wie so oft beim Individuum, aber auch in der menschlichen Kulturgeschichte, der Auslöser für einen Bedarf an Wissen und die Bereitschaft, eine genauere Antwort zu finden. Gemeinsam mit der nachfolgenden Frage ("Haben Wolken Zähne?") verweist die Frage nach Wackelzähnen bei Tieren auf einen signifikanten typologischen Unterschied im Erfragen von Kleinkindern. Sie gehört zu den systematisch sprach- und welterschließende Fragen. Der Typus hier ist die naturerkundende Frage, die bereits kontextualisiert und auf eigenes Hintergrundwissen rekurriert.

Nun bietet sich ein Besuch im Zoo oder in einem naturkundlichen Museum an, bei welchem auf diese Frage zurückgegriffen werden kann im anschaulichen Umfeld. So haben auch Hunde, Katzen, Wölfe und Raubkatzen ein "Milchgebiss". Interessant für Klara war auch der Hinweis auf die Haifischzähne, die immer wieder neu nachwachsen ("Revolvergebiss"). Wobei das Spezifische der Erfahrung des Kindes nicht vergessen werden sollte. "Wackelzähne" verweisen auf die Genese der Zähne, auf Entwicklungsprozesse, auf Austausch im Besonderen. Das Kind macht hier die unmittelbare Erfahrung mit Verlust und Neugewinn am eigenen Körper. Diese Erfahrung wird zu Recht kulturell besonders markiert, heute durch die Figur der "Zahnfee" und kleine Schächtelchen, in denen die ersten ausgehenden Milchzähne gesammelt werden.

Kulturgeschichtlich hat die Milchzahn-Erfahrung vielfältige Spuren hinterlassen. So verwendeten die Annam (Vietnam) die ausgefallenen Milchzähne ihrer Kinder zerstoßen als Medizin (Max Bartels, Die Medicin der Naturvölker, 1893). Bei den römerzeitlichen Franken wurde der erste ausgefallene Milchzahn als Amulett getragen. In Volksbräuchen war noch im 19. Jahrhundert der erste ausgefallene Milchzahn magisch aufgeladen, er wurde etwa in ein Mäuseloch geworfen, um die nachfolgenden Zähne stark und weiß werden zu lassen (Gottfried Lammert, Volksmedicin in Bayern, 1860).

Zusammen mit der nachfolgenden Frage gehört diese Frage zur großen Gruppe der Fragen nach Eigenschaften, die mit dem Vollverb "haben" arbeiten.


Svenja
                  Rehse: Haben Wolken Zähne?








Eigenschaftsfragen. "Haben"-Fragen. Zähne. Analogiedenken. Naturphilosophie

HABEN WOLKEN ZÄHNE? (5-)

Die Frage nach den Wolkenzähnen wurde bei einer Zugfahrt nach einem längeren Blick aus dem Fenster gestellt. Draußen sah man einen blauen Himmel mit eingestreuten Kumuluswolken.

Ich frage zurück, ob die Wolken denn Karotten oder Brot oder Döner (das aktuelle Lieblingsessen des Kindes) essen können. Das Kind verneint. Ich frage weiter, was Wolken denn mit Zähnen machen könnten. "Den Himmel beißen!", kommt als Antwort - lachend.

Gemeinsam mit der vorangegangenen Frage verweist diese Frage auf den Übergang zu systematisch sprach- und welterschließenden Fragen, die dann die Schulzeit wesentlich prägen. Dieser Übergang vollzieht sich etwa gleichzeitig mit der über Ist-Fragen hinausgehenden Ausbreitung der Verb-Fragen (Entscheidungsfragen wie "Hast du ..." oder "Gibt es ..."). Daher ist die Bezeichung als "Entscheidungsfragen" auch irreführend, das Kind will hier keineswegs nur ein "Ja" oder "Nein" als Antwort.

Die Frage nach den Wolkenzähnen kann durchaus als "naturphilosophisch" in einem anfänglichen Sinn begriffen werden. Das Kind formuliert eine kühne Anthropomorphie und versucht, damit einen seiner unmittelbaren Untersuchung unzugänglichen Naturbereich zu erfassen - wie die Menschheit das schon immer getan hat.

"Da sind so Zacken", erläutert das Kind seine Frage dann näher. Es meint damit die spezifische Formation der Wolken, die es im Blick hatte. Aber es wäre verfehlt, hier nun einfach eine optisch fundierte Assoziation zu lesen. Eines seiner aktuellen Themen ist der Verlust von Milchzähne, da es seinen ersten "Wackelzahn" hat. Und damit das Thema "Zähne" allgemein, der Übergang von Kinderzähnen zu Erwachsenenzähnen, Verlust und Gewinn, Werden.

Andere Themen mit naturphilosophischer Relevanz sind zeitgleich die Unterschiede zwischen belebten und unbelebten Naturphänomenen, zwischen Tieren und Pflanzen, zwischen Tieren und Menschen. Alle diese Themen sind in dieser Frage mit präsent.


Svenja Rehse: Gibt es auch
                Leute, die im Gefängnis bleiben müssen, bis sie tot
                sind











Diskursfragen. Gesellschaft. Verbrechen. Strafsystem. Schulreife

GIBT ES AUCH LEUTE, DIE IM GEFÄNGNIS BLEIBEN MÜSSEN, BIS SIE TOT SIND? (5)

Ausgangspunkt des Gesprächs war das Thema "Dieb", das für das Kind unmittelbar mit dem Thema "Gefängnis" verbunden ist, nicht zuletzt durch Pippi Langstrumpf und die Erfahrungen von Pippi mit Donner-Karlsson und Bloom.

Ich erklärte das Verhältnis von Schwere der Tat, persönlichen Umständen und Strafmaß. Das Kind wollte dann unbedingt ein Gefängnis sehen, also etwas Konkretes zum Thema.

Mit Fünf sind Kinder durchaus schon diskursfähig. Sie erschließen sich nun komplexe thematische Zusammenhänge mit systematischem Anspruch, erfragen tendenziell alle Begriffe zu einem Thema, die sie nicht verstehen, gehen in die Verästelungen eines Themas und suchen nach Klärung für Lücken innerhalb eines diskursiven Zusammenhanges.

Im vorliegenden Beispiel hat das Kind sich so fragend u.a. den Komplex "Gericht", "Gefängnisausstattung", "Strafmaß", "Strafmündigkeit" erschlossen. Die hier genannte Frage zielt auf das Strafhöchstmaß und den Begriff "lebenslänglich". Komplementierend fragte es im gleichen Kontext, ob auch Kinder ins Gefängnis müssen. Dem Grunde nach hat das Kind mit seinen Fragen eine knappe Einführung in das Strafsystem skizziert.

Am gleichen Tag hat es auch die Frage gestellt, ob es Menschen gebe, die kein "Haus" haben, womit es allgemein Wohnung meinte (interessant die Parallele zur Semantik von englisch "home"). Dazu wollte es wissen, wo diese Menschen schlafen, wie die Obdachlosenunterkünfte heißen ("Hotel?"), ob die Betten weich seien und so fort.

Auffallend ist, wie soziale Fragen nun die Fragen nach Naturzusammenhängen ablösen. Wobei Fragen nach den Sozialbeziehungen von Tieren eine vorbereitende Funktion zukam.

Die einleitende, von diesem Kind oft gebrauchte Formel "Gibt es" verweist uns auf Wittgensteins Formel vom "Was der Fall ist" ebenso wie auf Arthur Rimbauds repetitives "Il y a" in "Enfance" - gleichsam "Urformeln" der Weltbegegnung.

Svenja Rehse: Was für ein Buchstabe ist der
                  erste, 2018








Analytische Fragen. Buchstaben. Wörter. Namen. Wortbildung

WAS FÜR EIN BUCHSTABE IST DER ERSTE? (5)

Wir hatten gerade am Schriftzug KARSTADT buchstabieren geübt. Danach zeigte das Kind auf ein Plakat von Hugo Boss im Schaufenster von Karstadt und fragte "Was für ein Buchstabe ist das?". Sie meinte im Schriftzug BOSS.

Ich sagte "Be", denn Kinder in diesem Alter können mit dem "ABeCe" durchaus schon umgehen. Wenn ich den Eindruck habe, dass eine Verständnishilfe sinnvoll ist, füge ich bei Konsonanten noch das reine Lautbild hinzu ("B") - allerdings nur ergänzend, ich verwende es nicht alleine (das scheint mir nur bei jüngeren Kindern sinnvoll).

Den früheren Fragen "Was steht da" und "Welcher Buchstabe ist das" folgt nun eine gezielte Frage zu einem Buchstaben als Teil eines Wortes. Buchstaben werden nun klar als Teile von Wörtern und Wörter als zusammengesetzt aus Buchstaben begriffen. Daran arbeitet das Kind schon einige Zeit, aber erst jetzt habe ich den Eindruck, dass es das Prinzip der Buchstabenschrift begreift. Dies zeigt auch die Nummerierung, die es vornimmt mit der Angabe "der erste". Buchstaben haben ihren Platz in einem Wort - hinter dieser Einsicht steckt eine großartige Denkleistung.

Dabei orientiert sich das Kind im Worterfassen allerdings nicht streng am Buchstabieren (das kommt dann beim Schreiben-/Lesenlernen in der Schule), sondern an bereits bekannten Wörtern. Aus "Karstadt" macht es "Karlstadt", auch mit direktem Blick auf den Schriftzug, da der Name "Karlsruhe" ihm bestens bekannt ist, das ist seine Heimatstadt. Das bietet viel Anlass zu Gesprächen über Wörter, Namen, Zusammensetzungen von Wörtern, die Macht, die ein einzelner Buchstabe hat, aus einem Wort ein ganz anderes zu machen.

Auf der Ebene der Sprachentwicklung steht diese Frage für das Vermögen, Sprachproduktion in Ansätzen metasprachlich zu analysieren. Wir befinden uns hier noch im Bereich der Analyse einzelnen Wörter, doch schon die nächste Frage zeigt uns, dass bereits mehr möglich ist.



Svenja Rehse:
              Mensch ist doch ein Ärgerwort!?







Konstatierende Fragen. Polysemie. Interjektionen

"MENSCH" IST DOCH EIN ÄRGERWORT?! (5)

Im Kontext eines Gespräches beim Gehen über Sprache, Wortbildung (siehe die vorangegangene Frage) blieb Klara stehen, wiederholte das Wort "Mensch" mehrmals, meinte "wir sind doch Menschen!", um dann die konstatierende Frage zu stellen "Mensch ist doch ein Ärgerwort?!".

Ich bemühte mich zunächst, die Mehrdeutigkeit von "Mensch" klarzumachen. Dann gab ich eine Erklärung, was mit dem Ausdruck "Mensch" gemeint ist, wenn man es als Ärgerwort verwendet. Dass man eigentlich einen ganzen Satz meint, etwa "Du bist doch ein Mensch, benimm dich auch so!". Sie selbst bringt dann noch das Beispiel "Menschenskind".

Klara artikulierte hier zum ersten Mal implizite ein metasprachliches Problem. Sie wollte wissen, warum ein lediglich ordnender, in der Tendenz eher positiver Begriff wie "Mensch" als Ausdruck von Kritik, Vorwurf, Verärgerung eingesetzt werden kann.

Interessant ist hier auch, dass das Kind einen Sachverhalt konstatiert, den es durchaus als gegeben akzeptiert, der ihm jedoch unstimmig erscheint, den es nicht durchschaut. Es möchte eine Erklärung, macht dieses Bedürfnis jedoch nicht explizit, artikuliert es lediglich durch Tonfall und Blick. Sicherlich ist es kein Zufall, dass es sich um einen sprachlich-kommunikativen Sachverhalt handelt. Klara entwickelt in diesem Alter eine Ahnung davon, dass Kommunikation problematisch ist, nicht selbstverständlich. Dass sie gelingen, aber auch misslingen kann.

Interessant ist hier sprachlich zunächst das repetitive Moment in der Problemerschließung. Sie wiederholt das Wort "Mensch" mehrmals und aktiviert damit - ob nur symbolisch oder auch konkret neurologisch vermag ich nicht zu sagen - die verschiedenen Kontexte, in denen sie das Wort bereits kennen gelernt hat. Dann kommt sie zu ihrer Schlussfolgerung für die Hauptbedeutung von "Mensch": "Wir sind doch Menschen!" Um abschließend ihr Problem zu formulieren, dass "Mensch" auch als "Ärgerwort" eingesetzt werden kann.

Dabei ordnet sie "Mensch" einer Kategorie von Wörtern zu, die sie mit "Ärgerwort" benennt. Sie organisiert damit Sprache nach einem ähnlichen Prinzip wie zunächst die Tiere mit "wer mag alles Regenwürmer". Nämlich nach pragmatischen Kriterien.
 

Svenja Rehse: Wann holst du mich ab, 2018









Zeit. Verabredungen

WANN HOLST DU MICH AB? (5)

Klara stellte diese Frage, als ich sie gerade mal wieder vom Kindergarten abholte - was ich etwa einmal in der Woche tat, allerdings ohne strenge Regel.

Ich fragte zurück: "Meinst du, das nächste Mal?" Sie nickte. Ich erklärte ihr, dass ich sie nächste Woche vermutlich wieder am Donnerstag abholen werde, wie heute. Sie: "Holst du mich immer am Donnerstag ab?" Ich: "Meistens." Damit war sie dann zufrieden.

Die zunächst wenig interessante Frage markiert einen wichtigen Fortschritt in der Entwicklung zeitlicher Vorstellungen. Der Begriff von Wochentagen ist zwar noch immer diffus, aber da der Kindergarten am Wochenende geschlossen ist, hat sich schon ein Bild von kulturell geformter zeitlicher Gliederung über den naturhaften Tag-Nacht-Wechsel hinaus ausgebildet.

Die Frage steht daher auch für die Ablösung von der bisherigen Zeiterfassung mit dem am Naturgeschehen orientierten "noch so und so oft schlafen", das letztlich der kulturell ältesten Zeitorientierung am Sonnenlauf entspricht. Wobei diese Orientierung bereits mehrere kulturelle Leistungen manifestiert, einmal das Zählen, einmal die Entscheidung für das "Schlafen" als Gliederungsmerkmal - und damit individualisiert erfahrbar macht. Das Element der Verabredung steht für die dann durch und durch eigenständige kulturelle Dimension der "neuen" Zeiterfassung.

"Abholen" hat etwas mit den zeitlichen Organisationsformen der Erwachsenen zu tun, die dem Kind noch fremd sind, die es aber zunehmend interessieren. Es ist kein Zufall, sondern strukturell bedingt, dass gleichzeitig auch das Interesse an "Arbeit" sich deutlich artikuliert, als Interesse primär daran, wo und wann die Erwachsenen arbeiten. Wobei das "Was" der Arbeit von Klara noch sehr diffus nur erfasst wird und sie auch nicht im Detail interessiert.

Das Fragewort "Wann" wird hier innovativ eingesetzt zur Erfragung einer repetitiven zeitlichen Ordnung, nicht nur, wie bislang üblich, mit dem Fokus auf ein einmaliges Ereignis. Sprachlich ist der Satz allerdings noch unvollständig, es fehlt eine Bestimmung wie etwa "in der Regel".

Allerdings habe ich erst mit 12 von ihr einen Satz wie "bis Donnerstag" gehört - also bis zum nächsten Treffen.



Svenja Rehse: Warum sind da Ballerinas, 2018








Öffentlichkeit. Funktionen von Kunst

WARUM SIND DA BALLERINAS? (5)

Die Frage fällt im Katalograum einer Bibliothek, dessen einzige freie Wand mit farbigen Glasarbeiten geschmückt ist, die Tänzerinnen darstellen könnten, was aber nicht auf Anhieb zu erkennen ist.

Ich erkläre, das habe eine Künstlerin gemacht, die gerne Tänzerinnen darstellt. Es sei hier aufgehängt worden, um den Raum schöner zu machen.

Ich wundere mich über die Sicherheit, mit der Klara hier ihre Auffassung artikuliert, dass es sich um "Ballerinas" handele. Nach einer Deutung gefragt, hätte ich auch auf Tänzerinnen getippt, aber die Figuren waren so stark reduziert, dass man sie auch als bloß geometrische Figuren hätte wahrnehmen können. Die Künstlerin hatte allerdings in der Tat Tänzerinnen zum Thema gemacht. Hier zeigt sich ein Vermögen zur Mustererkennung, das Kinder oft auszeichnet und sie zu guten Memory-Spielern macht oder sehr sicher bei der Erkennung von Toilettensymbolen für Mann und Frau.

Interessanter ist hier allerdings, dass Klara die Wanddekoration als fragwürdig ansah. Sie kennt Wanddekorationen, kennt Kunstwerke von Museumsbesuchen, Vernissagen und in Wohnungen, von Kunst im öffentlichen Raum. Und sie kennt die Verzierung von Wänden aus eigener Tätigkeit im Kindergarten, wenn sie mit anderen Kindern ihre Bastel- und Malarbeiten aufhängt. Warum also fragt sie nach dem Sinn der Glasarbeiten hier an der Bibliothekswand?

Leider konnte ich nicht herausfinden, warum ihr diese Gestaltung auffiel. Es könnte das Thema gewesen sein - Ballerinas. Eines ihrer wichtigen Themen in dieser Zeit, wie Pferde oder Hunde. Vielleicht ging es ihr auch wie mir, dass sie mit überlebensgroßen Ballerinas zwischen Katalogkästen und Computerarbeitsplätzen nicht viel anfangen konnte, dies merkwürdig fand. In jedem Falle demonstrierte sie, dass sie bereit war, künftig auch Kunst in Frage zu stellen.

In diesen Kontext gehört auch, dass sie sich bei einem Besuch in einer Kunstsammlung im gleichen Zeitraum beschwerte: "Da ist nichts für Kinder!". Auf meine Frage, was denn für Kinder sein solle, meinte sie "Tiere oder so. Lustige Bilder!".


Svenja Rehse: Warum heißt das eigentlich
                  Bürgersteig









Wortbildung. Semantik

 
WARUM HEIßT DAS EIGENTLICH BÜRGERSTEIG? (5)

Wir machten einen Stadtbummel und beim Überqueren einer Straße trödelte sie, fummelte an ihrer Jacke herum. Ich sagte, auf dem Bürgersteig könne sie wieder an ihrem Reißverschluss arbeiten, aber nicht auf der Straße. Sie ging weiter, blieb auf dem Bürgersteig stehen, überlegte: "Warum heißt das eigentlich Bürgersteig?"

Die Wörter "Bürger" kennt sie z.B. aus "Bürgermeister" (der "Bestimmer" in ihrer Stadt für sie), den Wortstamm "-steig-" aus "Drachen steigen lassen" oder "Bergsteigen". Beides interessierte sie, warum "Bürger-", warum "-Steig". Ich erklärte die Wörter, sie hörte aufmerksam zu.

Faszinierend für mich war, wie sie die Themen "Straße überqueren", "Reißverschluss klemmt" und "Nicht rumtrödeln" ignorierte und sich einem linguistischen Problem zuwandte, das sich plötzlich vor ihr aufgetan hatte. Und dies in einer Formulierung, die vollständige Fokussierung anzeigte mit dem Indikator "eigentlich". Ich musste an Professorenwitze denken oder an das "Störe meine Kreise nicht" des Archimedes. Wundervoll. Auch wenn ich mir manchmal Sorgen um ihr Verhalten auf Straßen machte. Allerdings wusste ich, dass sie sich alleine oder mit anderen Kindern aufmerksamer verhielt. Wenn Erwachsene dabei waren, betrachtete sie augenscheinlich diese als zuständig beim Überqueren der Straße.

Die Frage zielt offensichtlich auf Wortschatz und Semantik. Es zeigt sich eine geschärfte Sensibilität für Wortbildungsregeln und semantische Bezüge zwischen Wörtern. Das Kind erkennt die getrennten Gehalte von "Bürger" und "Steig", die in diesem Wort präsent sind und versteht nicht, was diese mit dem Teil der Straße zu tun haben, den es gerade benutzt. Gebräuchlicher sind ja "Gehsteig" oder "Gehweg". Und wenn Kinder im Treppenhaus spielen, heißt es in der Regel nicht "geh nicht hinaus auf den Bürgersteig", sondern "geh nicht hinaus auf die Straße". 

Das bei diesem Kind mit vier Jahren zum ersten Mal auftauchende "eigentlich" gehört zur Kategorie der Wörter und Ausdrücke mit dominierender rhetorischer Funktion. Bei den ersten Verwendungen war noch eine Unsicherheit im Gebrauch mitzuhören, ein tastendes Erproben eines von Erwachsenen gehörten und in seiner Funktion noch rätselhaften Wortes. Nun aber wird es bereits souverän eingesetzt, um den Erwachsenen von seinem dem Kind irrelevant erscheinenden Diskurs über den Umgang mit Reißverschlussproblemen beim Überqueren einer Straße wegzuführen.

Die Erklärung kann noch darauf abheben, dass es sich um einen älteren Ausdruck handelt, aus einer Zeit, als es nur in Städten so etwas gab, in Städten, wo "Bürger" lebten, die gutes Schuhwerk trugen und Kleider, die nicht schmutzig werden sollten.

 


Svenja Rehse: Ist da eine Arbeit, 2018







Gesellschaft. Arbeitswelt. Orte

IST DA EINE ARBEIT? (5)

Ein Mann in Malermontur stand vor einer Seitentür zu einem großen Gebäude und rauchte. Klara schaute ihm zu, studierte das Gebäude und fragte dann "ist da eine Arbeit?"

Die Frage signalisiert einmal Interesse daran, was der Mann tut, zum anderen Interesse am Thema "Arbeit". Beides kann in Antworten/Gesprächsbeiträgen berücksichtigt werden.

Die Wahrnehmung für die soziale Umwelt schärft sich weiter, wird differenzierter. Arbeitskleidung wird als solche erkannt, auch dass rauchende Menschen vor einem Gebäude bedeuten kann, dass die Menschen in diesem Gebäude arbeiten. Allerdings ist das Konzept "Arbeit" noch lange nicht klar. Daher will sie mit dieser Frage auch etwas erfahren zum Phänomen "Arbeit.

Mehrere Themenkomplexe überlagern sich hier, die mit der Arbeitswelt verbunden sind. Da ist einmal der Bereich der Arbeitskleidung, die einen deutlichen Schnitt markiert zwischen der Welt der Arbeit und der "Freizeit" - auch wenn die Grenzen zunehmend fließender werden. Die Leute, die im betreffenden Gebäude, dem Sitz einer Versicherungsgesellschaft, arbeiten, sind gerade nicht so eindeutig an ihrer Kleidung als "arbeitend" zu erkennen. Der betreffende Mann hier war vermutlich als Externer mit einer Auftragsarbeit als Maler betraut. Dann spielt - inzwischen - das Rauchen in der Arbeitswelt eine besondere Rolle, insofern Rauchen am Arbeitsplatz untersagt ist und der Mann vermutlich deswegen vor der Tür raucht, weil er im Gebäude nicht rauchen darf bzw. nicht ins Raucherzimmer mag, weil dort nur die Angestellten der Gesellschaft sich aufhalten. Zum dritten weiß das Kind bereits, dass große Gebäude häufig mit "Arbeit" in Verbindung stehen, insbesondere wenn es keine Balkone gibt und alle Fenster gleich groß sind, wie bei dem Gebäude in der Fragesituation.

Alle diese Themenkomplexe können angesprochen werden, wobei das Interesse des Kindes und der aktuelle Bezug letztlich entscheiden, welches Thema gerade "dran" ist. Es könnte auch zurückgefragt werden: "Glaubst du, dass hier eine Arbeit ist?" - mit einer anschließenden Frage nach der Begründung der Antwort hierauf.

Svenja
                  Rehse: Denkst du, dass ich da jetzt runterspringe?












Extro-Introspektionsfragen. Subjektivität

DENKST DU, DASS ICH DA JETZT RUNTERSPRINGE? (5)

Die Frage kommt auf einem Spielplatz, Klara sitzt auf dem Dach einer kleinen Hütte und schaut nach unten.

Eine schwierige Frage, wenn Erwachsene sie aus Erwachsenenperspektive ansehen. Es handelt sich aber primär um ein Kommunikationsangebot und eine Bitte um Aufmerksamkeit und Respekt.

Das Kind erprobt zunehmend die Grenzen seiner Fähigkeiten, ist "mutig", probiert Dinge aus, von der schwingenden Schaukel springen (bei den "Großen" abgeschaut) und Ähnliches.

Die Frage markiert einen ganz neuen Fragentypus, der im sechsten Lebensjahr auftaucht. Das Kind will wissen, was der andere denkt und meint. Zunächst sind die Fragen auf das Kind bezogen ("Denkst du, dass ich ...."), bald aber auch auf Dinge ("Denkst du, dass dieses Auto auch auf dem Rücken fahren kann?"). Fragen dieses Typus werden oft eingeleitet mit "denkst du" oder "glaubst du".

Eine interessante Parallele gibt es zur Frage WAS HAB ICH IN MEINER TASCHE VERSTECKT? mit zwei Jahren. Aus dieser noch nicht gezielt kognitionsbezogenen Frage entwickelten sich kurz vor den "denkst Du"-Fragen die Fragen vom Typus "rate mal, ...". Ich bin gespannt, wann die Frage WEISST DU, WAS ICH GERADE DENKE? zum ersten Mal kommt.

Das Kind bekommt vielleicht auch schon eine erste Ahnung von der Einsamkeit der Innenwelt, dem Grundproblem des Verstehens, dass wir in den Anderen nicht hineinsehen können. In dieser Zeit beginnt es auch, aufmerksam und mit analytischer Anstrengung die Mimik von Erwachsenen zu studieren, auch ihre sonstige Körpersprache. Was der andere meint, nicht nur was er sagt, wird zu einem durchgängigen Thema.

Gleichfalls gehört in diesen Kontext das Thema "Geheimnisse". Geflüstert wird ja schon seit Vier, danach kam die Verurteilung des "Petzens" ("wir petzen nicht" wurde mir einmal mitgeteilt - wobei mit dem "wir" die "wilde Gruppe" im Kindergarten gemeint war). Und nun hat die "wilde" Gruppe im Kindergarten ihre ersten "Geheimnisse", die "den Kleinen" nicht verraten werden.



Svenja Rehse: Fahren die Autos dann alleine, 2018








Zukunft. Entwicklung

FAHREN DIE AUTOS DANN ALLEINE? (5)

Wir hatten uns mal wieder über den dichten Autoverkehr vor dem Wohnhaus ihrer Eltern unterhalten. Ich sagte, dass es so nicht weitergehen könne mit dem Autoverkehr in der Stadt. Dass die Autos weniger und kleiner werden müssten. Sie: "Fahren die Autos dann alleine?"

Was sie meinte, zeigte sie durch eine gestisch unterlegte Zusatzfrage, "Muss man dann noch kurbeln?" - wobei sie mit den Armen weitausholende Lenkbewegungen machte. Ich erklärte ihr, dass gerade an der Universität ihrer Stadt geforscht werde zu Autos, die alleine lenken oder ferngesteuert werden.

Dass an Autos geforscht werde, die alleine fahren können, fand Klara sehr beeindruckend. Aber ein gewisses Bedauern war auch deutlich zu spüren. Das "Kurbeln" wollte sie sich ungern nehmen lassen. Wenn wir mal im Auto unterwegs sind, klettert sie beim Ein- oder Aussteigen auch gerne auf den Fahrersitz und dreht am Lenkrad. Die enorme Wichtigkeit des Lenkens kennt sie ja auch vom Fahrradfahren. Und in der kindlichen Entwicklung hat das selbständige Fahrradfahren eine große Bedeutung für den Gewinn von Autonomie.
 
Die Frage nach den "alleine" fahrenden Autos ist bei Klara eine der ersten Fragen, die ein Bewußtsein von Zukunft markieren. Fragen nach zukünftigen Ereignissen waren schon vorher da. Aber der Rückgriff auf Zeitbestimmungen wie "noch zweimal schlafen" oder andere Indizien machten dabei meist deutlich, dass sie noch keine klare Vorstellung von historischen Prozessen und Entwicklungen, konkret von der Korrelation zwischen Zeitangaben und Entwicklungsprozessen hat. Und bemerkenswerterweise hat sie wieder einmal ein Thema "erwischt", das für ihre Generation von großer Bedeutung sein wird.

Wie sie auf ihre Frage kam, konnte ich nicht herausfinden. Die erste Antwort war "hab ich gelesen". Was eindeutig nicht stimmen konnte. Möglicherweise hatte sie von einem älteren Cousin gehört, dass Autos bald einmal von alleine fahren können. Mit gezielten Nachfragen ist das so eine Sache, da auch das oft phänomenale Gedächtnis von Kindern dieses Alters Irrtümer produziert, da sie sich an Dinge "erinnern", die so nicht stattgefunden haben, verschiedene Erinnerungen kombinieren oder mal einfach (ohne faktischen Hintergrund) nicken auf eine Frage wie "hast du das von jemandem gehört?". Gelegentlich gibt es auch die stolze Antwort "das hab ich selbst gedacht", obgleich es eine konkrete Quelle gibt. Was alles ja auch noch bei Erwachsenen vorkommt ....

Svenja Rehse: Schläft der Mann im Rollstuhl









Hypothesenbildung. Soziale Aufmerksamkeit

SCHLÄFT DER MANN IM ROLLSTUHL? (5)

In einer unterirdischen Station der Stuttgarter Stadtbahn, ein Mann im Rollstuhl kommt mit Begleiterin zum Einstiegsbereich gefahren. Klara schaut den beiden beim Einsteigen in eine Bahn zu, eher beiläufig. Dann, als die Bahn abgefahren ist, stellt sie leise und sachlich die Frage "Schläft der Mann im Rollstuhl?" - mit Akzent auf "Rollstuhl".

Die Mutter erklärt, dass er sicher auch in einem Bett schlafe. Dass er seine Arme ja noch bewegen könne und sich abstützen und so ins Bett steigen. Und dass ihm seine Frau vielleicht auch helfe dabei. Damit ist sie zufrieden.

Der Unterschied zu ähnlichen Fragen noch vor einem Jahr ist auffallend. Die Frage nach Behinderungen wird nicht mehr in Gegenwart der Betroffenen und nicht mehr in aufgeregt-lautem Ton gestellt. Ist Klara früher in ähnlichen Situationen noch zumindest einen Schritt näher rangegangen, gelegentlich sogar direkt zum Rollstuhl, bleibt selbst die Körpersprache nun zurückhaltend. Sie hat soziale Rücksichtnahme in diesem Bereich gelernt und ihr Interesse richtet sich nicht mehr auf das ""Was" und "Woher" einer Behinderung, sondern auf konkrete Fragen der Lebensführung mit Behinderung.

Die Frage wendet sich einem Bereich zu, der gesellschaftlich nach wie vor mit Tabus belegt ist. Verfehlt wäre es, diese Tabus noch zu stärken durch ausweichende Antworten oder gar eine Zurückweisung der Frage. Die Frage zielt auch nicht auf einen umfassenden Diskurs zum Thema Behinderung, sondern hat ein klares, eng umrissenes Anliegen. Eine naheliegende Paraphrase ist die Frage, wie jemand, der nicht gehen kann, ins Bett gehe. Eine andere wäre, ob jemand, der einen Rollstuhl benötigt, seine ganze Zeit im Rollstuhl verbringe. Die Umgangssprache kennt ja den Ausdruck "an den Rollstuhl gefesselt sein". Wer diesen Ausdruck einem Kind gegenüber verwendet, sollte sich dessen bewußt sein, dass Kinder diese Frage durchaus wörtlich verstehen können.

Das Kind stellt hier nicht nur eine Frage, sondern äußert zugleich eine Vermutung, formuliert eine Hypothese - eine Leistung, die letztlich hinter allen Entscheidungsfragen steht, die hier aber besonders deutlich wird. Nebenbei schneidet sie ein äußerst aktuelles Thema an, das der Pflege. So wird der Roboter-Einsatz in der Pflege wesentlich vorangetrieben durch die erwartete Hilfeleistung beim Übergang vom Bett in den Rollstuhl und umgekehrt.


Svenja Rehse
              - Weißt du, wer meine beste Freundin ist?











Extro-Introspektionsfragen. Warum-Nachfragen. Freundschaft. Geheimnis. Macht

WAS DENKST DU, WER MEINE BESTE FREUNDIN IST? - WARUM? (5)

Klaras Frage zu meinen Vermutungen über ihre beste Freundin kommt im Kontext eines längeren Gespräches über Vorlieben und Verhalten in (Kindergarten-)Gruppen. Die Nachfrage "Warum?" reagiert auf meine Antwort.

In der Regel ist die Antwort auf die Kernfrage (und ähnliche Fragen dieses Typus) klar, wenn man das Kind und sein Umfeld kennt. Auf die aus meiner Sicht eigentlich selbstverständliche Antwort kommt nun überraschend ein "Warum?" Eine mögliche Antwort wäre: Du hast schon viel von ihr erzählt, machst viel mit ihr zusammen.

Das Kind erklärt nun nicht mehr jedes Mädchen, mit dem es auf dem Spielplatz mal spielt, gleich zur Freundin. Der Begriff wird spezifischer, gehaltvoller. Beziehungen zu anderen Kindern wurden zunächst bei Verwandtschaftsbeziehungen über den Moment hinaus gehoben, Cousinen und Cousins (in geringerem Umfang auch Nachbarskinder) waren die ersten auch längeren Abstand überdauernden Beziehungen im Bewußtsein des Kindes. Dann kamen Kindergartenfreundschaften dazu. Diese Entwicklung steht hinter dem Konzept von der "besten Freundin".

Die Nachfrage "Warum?" (dritte "Warum"-Phase, nach einübenden Einwortfragen und wissensorientierten Realienfragen nun bei explorierendem Nachfragen) verweist auf ganz andere Entwicklungsbereiche. Zum einen entwickelt das Kind selbst Interesse an den Einstellungen und Gedanken anderer, zum anderen nimmt es wahr, dass andere sich für seine Motive und inneren Prozesse interessieren. Damit unmittelbar korreliert ist die zunehmende Bedeutung von "Geheimnissen" - bei denen es auch darum geht, was man vor anderen verbergen kann, was nicht.

Mit dieser Frage möchte das Kind offensichtlich etwas darüber lernen, was in anderen Köpfen vor sich geht. Eventuell steht hinter der Frage auch der Verdacht, Erwachsene könnten Gedanken lesen, irgendwie das empfinden, was das Kind empfindet. Eine spannende Entwicklungsphase, in der sich nun die Grundlagen für differenzierte Ich-Du-Beziehungen ausformen.

Svenja Rehse: Gibt es die Kekse beim DM,
                  2018








Hypothesen-Fragen. Schlussfolgerungen. Kundenbindung

GIBT ES DIE KEKSE BEIM DM? (5)

Klara stellte die Frage, als sie sich bei einem Zoobesuch den vorletzten Keks aus einer Packung genommen hat. Die Kekse waren von der Mutter einer Freundin Klaras, die wir etwa zwei Stunden zuvor am Zooeingang getroffen hatten. Die Mutter hatte u.a. erzählt, dass die beiden gerade "im DM" gewesen seien.

Ich antwortete, dass dies möglich sei, da die Mutter, von der die Kekse waren, ja von einem Einkauf bei DM erzählt hatte.

Gemeint ist die Drogeriemarktkette DM (vom Unternehmen selbst "dm" geschrieben).

Bemerkenswert ist hier das Vermögen des Kindes, auch über größere zeitliche Distanz bei einer neuen Aktualisierung eines Themas (in diesem Falle, als sie den vorletzten der Kekse genommen hatte und nun überlegt, ob wir den letzten teilen) einen Denkakt abzuschließen, eine thesenartige Schlussfolgerung zu ziehen. Eine Fähigkeit, die sicherlich schon länger besteht, die hier aber besonders deutlich wird. Offensichtlich hatte sie "DM" und "Kekse" schon bei der Begegnung am Zooeingang miteinander in Verbindung gebracht, aber erst als die Kekse zuende gehen, will sie das abschließend klären.

Zum zweiten ist interessant, dass für sie nun Laden nicht mehr gleich Laden, Einkaufen nicht mehr gleich Einkaufen ist. Es gibt bestimmte Kekse nicht in jedem Laden, das ist eine wichtige Einsicht, die Werbestrategen (die hoffentlich hier nicht mitlesen) einen Hinweis geben kann, ab wann sie nicht nur über Produkte, sondern auch über die Handelskette Kleinkinder als Kunden bzw. zur Kundensteuerung (nämlich der einkaufenden Bezugsperson) binden können. Und zwar unabhängig von Sammelbildchen, die doch überwiegend bald im Papierkorb landen.

Kritische Eltern könnten bei dieser Frage gleich erklären, dass es diese oder ähnliche Kekse auch in anderen Läden gebe und wichtiger sei, was ein Laden insgesamt und in welcher Qualität und zu welchem Preis anbiete. Und dass auch die Lage des Ladens zur eigenen Wohnung oder zu eigenen Wegen wichtig sei.






Svenja Rehse
              - Essen die auch Menschenfleisch?








Beutegreifer. Tier-Mensch-Differenz. Ernährung. Körperlichkeit

ESSEN DIE AUCH MENSCHENFLEISCH? (5)

Die Frage fällt im Zoo, bei den Großkatzen. Wir selbst sind dort auf einer Bank beim Apfelschälen. Klara blickt von unserem Imbiss auf zu den Pumas und fragt ESSEN DIE AUCH MENSCHENFLEISCH?

Auf meine Antwort, dass Raubkatzen Menschen nur sehr selten angreifen, insistiert sie, ob die aber Menschenfleisch essen würden. Ich erkläre, dass die keinen Unterschied machen würden, wenn sie Hunger haben. Dass sie aber Menschenfleisch eigentlich nicht mögen und Menschen ausweichen. Sie: "Aber wenn jetzt ein Kind dort rübersteigt, und dann die Hand in den Käfig streckt, dann würde er doch beißen, oder?" Als ich diese Möglichkeit einräume will sie noch wissen, ob er die Hand dann fressen würde.

Hier überkreuzen sich verschiedene kindliche Diskurse. Zum einen der Themenbereich "Fleischfresser". Sie sieht offensichtlich eine Parallele zu den Menschen, weshalb das Thema "Tiere fressen Menschen" für sie lediglich die Spiegelung von "Menschen essen Tiere" darstellt. Zum zweiten beteiligt ist der Mensch-Tier-Unterschied. Natürlich weiß sie, dass Menschen es normal finden, Tiere zu essen, dass sie es aber höchst unnormal finden, wenn Tiere Menschenfleisch fressen. Eine für sie nachvollziehbare Begründung dafür hat sie noch nicht - und bezogen auf kleine Tiere würde sie auch keine Begründung akzeptieren, die "fressen" für sie nicht, sondern essen ganz lieb und vorsichtig. Zum dritten geht es ihr um die geheimnisvolle Kategorie "Raub-", weshalb sie die Bezeichnung "Raubkatzen" viel interessanter findet als die Bezeichnung "Großkatzen". Da schwingt für sie das "Räuber"-Bild aus Kindergeschichten mit. Zum vierten weiß sie natürlich auch um die Verletzlichkeit des Körpers. Weshalb das Thema Armbruch und Handbruch sicherlich nicht zufällig dann anschließend an den Besuch bei den Großkatzen aufkommt. Wobei sie wissen möchte, ob ein gebrochener Arm abfallen könne.

Auffallend ist, wie beharrlich sie an ihrem Thema bleibt und wie sachlich sie bis in Verästelungen hinein erörtert, was sie da offensichtlich beschäftigt. Sie hält sich dabei gelegentlich zwar gruselnd die Hand vor den Mund und zieht große Augen, bleibt aber beim Thema, fragt weiter und spekuliert weiter.

Svenja
                  Rehse - Woher weißt du das?









Wissen. Überlieferung. Autoverkehr


WOHER WEISST DU DAS? (5+)

Bei der Parkplatzsuche mit dem Auto klage ich, wie schwierig es sei, einen Parkplatz zu finden. Da meint sie von hinten, vom Kindersitz her, "Das ist halt so mit dem Auto". Und ergänzt: "Früher gab es weniger Autos, da musste man keinen Parkplatz suchen, oder?" Ich bestätige, dass es einfacher gewesen sei, und berichte auch, wie langsam die ersten Autos waren und laut und stinkend. Da stellt sie die Frage "Woher weißt du das?".

Zwei Antworten bieten sich vor allem an. Einmal der Verweis auf mündliche Überlieferung - also etwa "von meinem Vater, und der weiß es von seinem Vater, meinem Großvater" - oder entsprechend Mutter-Großmutter. Das sollte dann aber auch glaubwürdig sein. Zum anderen kann sinnvoll sein der Verweis auf Bücher, hilfreich auch als Motivation zum Lesenlernen.

Die Frage kam früher auch gelegentlich, hatte dann aber noch eindeutig die Bedeutung von "warst du dabei?" Diese Dabei-Gewesen-Sein-Fragen trugen sicherlich zur Entwicklung des historischen Bewußtseins bei, das sich inzwischen immer häufiger zeigt. Sie weiß, dass es Zeiten gibt, von denen es keine Zeitgenossen mehr gibt, bekommt eine erste Ahnung von Wissenstradierung, verlässt die kindliche Gleichzeitigkeit, für die es z.B. möglich ist, dass die Mama schon lebte, als die Oma ein Kind war.

Fragen dieses Komplexes häufen sich gerade. Als ich eine Woche zuvor von einem Strafzettel erzählt hatte, den ich bekam, weil ich im Anwohner-Parkbereich stand, ohne Anwohner zu sein, fragte sie "Woher wissen die das?" - Woher weiß also die Polizei, dass ich dort nicht wohne, wo ich geparkt hatte? Ich erkläre, was ein Anwohnerausweis ist und wie der funktioniert (bei der nächsten Gelegenheit zeigte ich ihr auch einen). Allgemein spielt die Kategorie "Wissen" nun eine große Rolle. Als ich am gleichen Tag fragte "Glaubst du, dass die Eisbahn (Schlittschuhbahn) am Sonntag schon öffnet?" antwortete sie selbstbewusst "Das weiß ich!"

Es kreuzen sich hier also zwei Anliegen. Das Kind erarbeitet sich eine Vorstellung davon, wie Wissensbestände überliefert werden können. Dies steht im Zusammenhang mit der Entwicklung eines historischen Verständnisses - das ich hier ganz eng familiär anspreche mit der Linie Großeltern-Eltern-Ich. Zugleich geht es dem Kind um den Wissenserwerb und die Informationsübermittlung.

Ich nahm die Frage nach dem Autoverkehr auch zum Anlass, mich selbst mal wieder mit der Geschichte des Autoverkehrs zu beschäftigen und stieß dabei auf die lange verschwiegene Frühgeschichte des Elektroautos, das Anfang des 20. Jahrhunderts (wie auch die Dampfautos) dank der Erfindung des Anlassers und mit Unterstützung der Ölindustrie von den Benzinern und Dieselmotoren verdrängt wurde. Aus Kinderfragen lernen geht auch mal so ...
 


Svenja Rehse
              - Darf man seine Freunde wechseln?








Beziehungen. Freundschaft. Stringenz

DARF MAN SEINE FREUNDE WECHSELN? (5+)

Wir saßen am Küchentisch und aßen. Dabei plauderte sie über den Kindergarten. Dann stand sie plötzlich auf und stellte mit sehr ernstem Gesicht die Frage "Darf man seine Freunde wechseln?".

Ich antwortete, dass man nach einem großen Streit manchmal die Freunde wechseln müsse. Oder wenn man umzieht. Dass man sich aber auch wieder versöhnen könne oder nach einem Umzug den alten Freunden Briefe schreiben. "Oder sie besuchen", ergänzte sie.

Eine der Fragen "aus heiterem Himmel", die allerdings eine konkrete situative Anknüpfung hatte. Denn das Thema stammte von einer Kindergartenfreundin, von der sie mir gerade einen Brief vorgelesen hatte. Und so erläuterte sie selbst ihre Frage: "Die Pia hat gesagt, man darf seine Freunde nicht wechseln! Aber dann hat sie beim Stuhlkreis zu einem Mädchen gesagt 'Du bist nicht mehr meine Freundin!'"
 
Was sie beschäftigte, war offensichtlich vor allem der Widerspruch im Verhalten ihrer Freundin. Das erst hat sie augenscheinlich zur Frage geführt, was es überhaupt auf sich habe mit dem moralischen Gebot, Freunde nicht zu wechseln. Ich erklärte ihr, dass es darum gehe, Freunde nicht einfach so aus einer Laune heraus zu wechseln. Dass Kinder aber ihre Freunde noch oft wechseln und auch schnell einmal sagen "Du bist nicht mehr meine Freundin" - sich dann aber auch schnell wieder versöhnen. Dazu lächelte sie und schien zu verstehen, dass Kinder auch in dieser Hinsicht noch anders sind als Erwachsene, dass sie Freundschaft gleichsam noch "üben".

Die Frage steht auch vor dem Hintergrund, dass einige ihrer ehemaligen Kindergartenfreundinnen nun zur Schule gehen und sie diese nur noch selten sieht, aber doch als Freundinnen zu bewahren sucht. Mit der Sorge, sie zu verlieren und dem Bewußtsein, inzwischen bereits andere Kindergartenfreundinnen gefunden zu haben. In gewissem Sinne also auch "gewechselt" zu haben.

Svenja Rehse: Wer hat die Bremsen gemacht









Warum-Nachfrage. Theodizee

WER HAT DIE BREMSEN GEMACHT? - WARUM? (5+)

Wir hatten uns über stechende und beißende Insekten unterhalten und Klara erzählte von einer Bremse, die die Mama gestochen habe, "da hat sie sogar einen Verband gebraucht!" Und dann kam die halb anklagend vorgebrachte Frage "Wer hat die Bremsen gemacht?"

Da sie sonst den "lieben Gott" als Macher kennt, antworte ich "Auch der liebe Gott". Sie: "Warum?" Ich: "Er wollte, dass es viele verschiedene Tiere gibt." "Aber Bremsen sind doch ähh!" - sie schüttelt sich theatralisch und mit abwehrenden Gesten.

Ganz ist das noch nicht die Frage nach der Theodizee, aber der Weg dahin ist deutlich erkennbar. Kulturgeschichtlich wurde bei solchen Fragen gerne auf den Teufel oder sonst ein böses, dem "guten" Schöpfergott entgegenstehendes Prinzip verwiesen. Ich habe es nicht bedauert, dass wir diese Möglichkeit heute nicht mehr haben. Sie schien mit meiner Antwort für den Anfang auch durchaus zufrieden zu sein. Obgleich sie Bremsen "ähh" findet.

Ich meinte dann noch: "Manche Tiere finden es auch nicht gut, dass der liebe Gott die Menschen gemacht hat." Sie wollte wissen, welche Tiere das nicht gut finden und nahm protestierend zur Kenntnis, dass der Mensch vielen Tieren den Platz zum Leben wegnehme, den Bären zum Beispiel. "Das ist doch gemein!" Dass für Wurst und Fleisch z.B. Schweine getötet werden, die den Menschen dafür gewiss auch nicht mögen, nahm sie eher gelassen zur Kenntnis, die Kategorie Tod ist noch immer sehr vage für sie, außerdem "werden ja keine kleinen Tiere getötet", wie sie verkündete. Dann berichtete sie, sie habe im Kindergarten nur die Wurst gegessen, das andere habe ihr nicht geschmeckt. Der Satz "Ich esse keine Wurst mehr!" sollte erst etwa ein Jahr später kommen.


Svenja Rehse
              - Woher weiß der Blindenhund, wo der Blinde hin möchte?








Extro-Introspektionsfragen. Sachwissen

WOHER WEISS DER BLINDENHUND, WO DER BLINDE HIN MÖCHTE? (5+)

Klara hat ein Hundebuch. Darin gibt es auch die Abbildung eines Blindenhundes, auf die ich sie aufmerksam mache. Sie schaut das Bild an und stellt dann ihre Frage. Und fügt an "Sagen kann der Blinde ihm das ja nicht, oder?" Wobei sie lacht.

Im ersten Augenblick bin ich perplex und behelfe mir mit einem "Das ist eine gute Frage!" - was sie sichtlich irritiert, oft scheint sie diese Reaktion noch nicht erlebt zu haben. Mir hilft die Pause, meine Gedanken zu sortieren und ich antworte mit dem, was ich weiß.

Diese Frage signalisiert deutlich den Abschluss einer Epoche. Sprachlich hat das Kind ein Niveau erreicht, das komplexe Gespräche ermöglicht. Seine Fragekompetenz ist so weit entwickelt, dass es sein Wissen umfassend erweitern kann. Und sein Weltwissen erlaubt nun auch gezielte Fragen nach Sachwissen und die Einordnung von neuem Wissen in alte Bestände. Dass der Binde dem Hund einfach sage, wo er hin möchte, schließt Klara schon einmal selbst aus.
Interessant ist diese Frage auch im Kontext der anderen "woher weiß/t (X/du)"-Fragen, die sich in diesem Alter häufen. Die von mir auf dieser Website aufgeführten Frageeinleitungen "Woher weißt du ...", "Woher weiß die Polizei ...", "Woher weiß der Blindenhund ..." stehen für die ganze Weite dieses Feldes.
 
Nun ist es allerdings durchaus so, dass Hunde einfache Aussagen verstehen, darauf ausgebildet werden, z.B. "rechts" und "links" zu erkennen. Ich erkläre ihr das auch und sie kann schon damit umgehen, dass die Wahrheit zwischen dem einfachen "Tiere können nicht reden" und der Kinderbuchwirklichkeit "Tiere reden wie Menschen" liegt.

Mit Fragen wie dieser wird der Horizont dieser Sammlung schon ein stückweit verlassen. Wie stark sachbezogen und wie detailliert die Frage beantwortet wird, hängt vom Kind und seinen Reaktionen auf die Antworten ab. Das Spektrum reicht vom Hinweis auf die Klugheit von Hunden über die Darlegung des Zusammenspiels von Blindem (der den Weg ja kennt) und Hund (der vor allem auf Gefahren unterwegs achten muss, aber die wichtigen Wege des Blinden auch schon kennt) bis zur Beschäftigung mit den Trainingsprogrammen von Blindenhunden.

Svenja Rehse: Worüber sprecht ihr, 2018








Interventionsfrage. Sprachliche Teilhabe

WORÜBER SPRECHT IHR? (5+)

Ich habe mich mit dem Vater des Kindes über die Reaktionen der Bahn auf die Konkurrenz durch Fernbusse unterhalten. Das Kind hörte aufmerksam zu und fragt dann in einer kurzen Gesprächspause: "Worüber sprecht ihr?"

Der Vater erklärt kurz das Thema, das Kind ist zufrieden und hat etwas weiterführend bewirkt: Wir wählen dann ein Thema, das mit ihm zu tun hat, nämlich wie es demnächst mit Bahn und Bus zur Oma fährt, auf welchem Weg und was man gegen Übelkeit beim Busfahren machen kann.

Eine Frage, die vor zwei Generationen noch Irritation bei Erwachsenen, lächelnde oder bisweilen gar grobe Zurückweisung bewirkt hätte im Stile von "Das verstehst du nicht!" Ein Kind, das bei Erwachsenen mitreden möchte - wie ungezogen! Auch wir waren zunächst etwas irritiert, allerdings aus anderen Gründen. Wir fragten uns, wie man dem Kind das doch eher komplexe Thema erklären könne.

Heute markiert die Frage einen ganz anderen Status der Beziehung als zu den Zeiten von "wenn Erwachsene reden, schweigen Kinder". Einen Status, der das überkommene "das verstehst du nicht" verbietet. Dominierende Auffassung inzwischen ist ja, dass es zu jeder Frage eines Kindes eine Antwort gibt, die seinem jeweiligen Anliegen gerecht wird. Die Aufgabe für Erwachsene besteht darin, ein Phänomen so zu beschreiben, dass das Kind es in seine Weltsicht einordnen kann. Dass es dazu grundsätzlich in der Lage ist, zeigt sein Fragen - sieht man von der Phase repetitiver "Warum"-Fragen einmal ab, die primär die Funktion hat, die Struktur von Begründungen und Kausalität zu "lernen".

Die Frage markiert die Fähigkeit zur rhetorischen Gesprächslenkung. Statt zu sagen, "mir ist langweilig", oder sich einfach mit einem eigenen Thema ins Gespräch einzuhaken, holt uns das Kind mit seiner Frage da ab, wo wir gerade sind. Möglicherweise hat es sich auch wirklich dafür interessiert, worum es geht. Wie auch immer, die rhetorisch-gesprächslenkende Funktion war unübersehbar präsent.


Svenja Rehse: Ist die Frau da alt








Semantik, Objektivität, Bedeutung von "alt" und "jung"

IST DIE FRAU DA ALT? (5+)

Ich habe Klara einen Videoclip mit "Donna Donna" von Joan Baez gezeigt, in welchem Baez auf schönen Fotos und Zeichnungen gezeigt wird, in verschiedenen Altersphasen. Sie deutete auf einige der Bilder und kommentierte: "jung", "alt", "mittel". Bei manchen zögerte sie, besonders bei einer Zeichnung: "Ist die Frau da alt?"

Die Zeichnung zeigt Joan Baez Mitte Dreißig, aber mit starken, schwarzen Linien. Ich erklärte Klara, dass die Frau hier "mittel" sei. Dass sie etwas älter wirke durch die dicken Striche.

Es ist spannend zu sehen, wie das Kind hier bemüht ist, die gesellschaftlichen Konventionen von "jung" und "alt" und die Merkmale für diese Zuordnungen zu lernen. Und es ist für mich erstaunlich, wie spät diese Begriffe sich nun allmählich bilden. Zunächst waren Menschen mit grauen Haaren tendenziell "Opa" oder "Oma". Und andere Erwachsene "Papa" und "Mama". Dann wurden alle gemeinsam zu "Erwachsenen" bzw. "Mann" oder "Frau". Ihnen gegenüber standen die "Kinder", "Jungen" und "Mädchen". "Mama", "Papa", "Oma" und "Opa" wurden zu primär familiären, nur residual noch altersbezogenen Kategorien. Seit etwa einem halben Jahr fragt Klara nun aber immer wieder mal danach, ob jemand - auf Abbildungen - jung oder alt sei.

Übrigens beginnt sie zur gleichen Zeit zu gendern. Bei den Piraten (nicht der Partei, sondern den Seeräubern, die sie faszinieren) gibt es nun einen "Chef" und eine "Chefin". Ich frage zu einer Geschichte von einem kleinen Kugelfisch und einem kleinen Tintenfisch, die sie immer wieder erzählt haben möchte, ob wir denen Namen geben sollen, und welche. Sie sagt: "Anja" und "Mira". Dann aber, als ich so zu erzählen beginne, schüttelt sie den Kopf: "Nein, einfach 'kleiner Fisch'". Es scheint, als möchte sie im Geschichtenerzählen noch den Bereich bewahren, in welchem es nicht die Komplikationen von "männlich-weiblich" und "jung-alt" gibt.

Sprachlich zeigt dieses Beispiel wieder einmal sehr anschaulich, wie die Semantik in Anwendungsbereichen gelernt wird. Wobei eindeutig - noch - die Erwachsenen maßgeblich sind mit ihren Auskünften. Auch wenn immer öfter mal ein "ich finde aber ..." erscheint.

Ein Verständnis von "alt" und "jung" entwickelt sich jedoch erst in der Pubertät. Davor dominiert die Unterscheidung "Kind-Erwachsener".

Svenja Rehse: Was bedeutet 'nageln', 2018









Die Bedeutung von "bedeuten". Semantik

WAS BEDEUTET "NAGELN"? (5+)

Die Frageeinleitung "Was bedeutet ..." erschien bei Klara häufig im Kleinkindalter. In diesem Fall war sie auf das Verb "nageln" gerichtet. Ich wollte eine Girlande an die Wand nageln und kündigte dies an.

Als ich erklärte, dass "nageln" bedeute, etwas mit einem Nagel zu befestigen, schaute sie nachdenklich. Dann kam die eher feststellende Frage: "Damit das nicht runterfällt?!"

Die Frageneinleitung "was bedeutet ..." ist eine Variante von "was heißt ...", mit einer entscheidenden semantischen Verschiebung. Die Frage richtet sich nicht (mehr) primär auf Synonyme oder Paraphrasen, sondern auf Anwendungsbedingungen für Wörter. Das macht der Kontext deutlich, nicht die Verwendung von "bedeuten" statt "heißen"! D
ie Umgangssprache verwendet "heißen" ja häufig im Sinne von "bedeuten" - daran kann sie die Differenz also nicht lernen. Ob das Kind auch schon den Unterschied zwischen Namen und Begriffen klar verstanden hat, bleibt offen. In anderen Kontexten zeigt sich, dass dies nicht der Fall ist.

Natürlich kannte sie das Wort "Nagel" schon und auch "nageln" dürfte sie schon gehört oder auch verwendet haben - allerdings in der Verbindung mit groberen Holzarbeiten, mit Brettern, mit Kisten, etwa auf einem "Abenteuerspielplatz". Bemerkenswert ist, dass sie meine Erläuterung "etwas mit einem Nagel befestigen" offensichtlich unbefriedigen fand für die Bestimmung von "nageln". Sie teilte mir in ihrer Nachfrage ("Damit das nicht runterfällt?") mit, was für sie wichtig am "Nageln" sei.

Sie stellt hier den konventionellen, eng semantischen Begriff von "Bedeutung" implizite in Frage und führt eine eigene Auffassung ein. Für sie bedeutet "nageln" auch, vielleicht sogar vorrangig, dass nun der genagelte Gegenstand nicht runterfällt. Somit geht in die Bedeutung auch die Folge einer Tätigkeit ein. Sie formuliert damit einen ganz eigenständigen Ansatz zu einer pragmatischen (nicht im Sinne des Sprechhandelns, sondern des Welthandelns) Begründung von Semantik.


Svenja Rehse: Was hast du gesagt








Erforschung der Erwachsenensprache

WAS HAST DU GESAGT? (5+)

Der Erwachsene war etwas verärgert über die dritte Schwindelei/Stibitzerei des Kindes kurz hintereinander und meinte "Du machst heute komische Sachen". Mit einem leichten Beiton von schlechtem Gewissen wollte das Kind wissen, "Was hast du gesagt?"

Als der Erwachsene ruhig erklärte, dass das Kind sich heimlich Süßigkeiten genommen habe und das dann abgestritten habe, nimmt es das als Kritik an.

Das Kind nimmt die Differenzen zwischen seiner eigenen Sprache und der Erwachsenensprache allmählich bewusst wahr und "erforscht" die Erwachsenensprache mit ihren rhetorischen Besonderheiten, erfragt nun auch häufig die Bedeutung von Ausrufen oder Gebrummel. Gibt der Erwachsene mal nebenher ein zu sich selbst gesprochenes "so" von sich, kommt sofort eine Nachfrage, "was hast du gesagt?" oder "warum 'so'?".

Und es nimmt immer präziser die Differenz zwischen Semantik und Pragmatik wahr, erprobt etwa mit forschem Grinsen die Pragmatik von Wendungen wie "Alles klar!". Es ist dabei zu spüren, wie das ganze Spektrum dieser Wendung von "In Ordnung" über "Mach dir keine Sorgen" bis hin zu "Lass mich in Ruhe" ausgekostet wird.

Interessant ist hier vor allem, dass das Kind nicht fragt, was "komische Sachen" bedeute, oder in sonstiger Weise auf den Inhalt der Äußerung eingeht, sondern formal um eine Wiederholung der Äußerung bittet, dabei aber in Ausdruck und Mimik signalisiert, dass es den Sprechakt des Vorwurfes durchaus mitbekommen habe. Sicherlich ist diese Kommunikationssituation sehr komplex und meine Ausführungen dazu sind notwendig spekulativ. Was im Kind vorgeht bei einer Nachfrage wie dieser ist nur jeweils kontextuell zu erschließen. Ich hatte den Eindruck, dass das Kind hier einerseits ein sprachlich-forschendes Anliegen hatte, meinen Ausdruck verstehen wollte, dass es andererseits aber auch über die Situation sich austauschen wollte, über ihr "Schwindeln" und meine leichte Verärgerung darüber.

Im Kontext der Sprachentwicklung bedeutsam ist die zunehmende Sensibilität für und das Interesse an Sprachhandlungen, deren referentieller Gehalt sich nicht mehr unmittelbar erschließt, insbesondere die Bereiche von Interjektionen und indirekten Sprechakten.

Svenja
                  Rehse - Wie lang ist eine Woche?









Zeiträume

WIE LANG IST EINE WOCHE? (5+)

Eine Kindergartenfreundin feiert Geburtstag in einer Woche, Klara ist eingeladen. Sie liest mit mir die Einladung und fragt "Wie lang ist eine Woche?".

Als ich antworte "Sieben Tage" meint sie: "Boa, das ist ja lang! Sieben Mal schlafen!"

Immer noch hilft der Bezug auf das "Schlafen" bei Zeitangaben über den Tag hinaus. Allerdings gewinnen die Zahlen der Zeit einen eigenen spezifischen Gehalt, sieben Tage wird schon mit einem gewissen Verständnis als "lang" empfunden. Nun kommt auch die Frage "wie alt bist du?" an Erwachsene. Und zwar nicht einfach als Retoure zur häufigen Frage an das Kind, wie alt es sei - solche Retouren (etwa auch auf die Frage "Wie heißt du?") sind den meisten Kindern ohnedies fremd. Klara fragt nicht einfach nur zurück, sondern weil auch Lebensalter allmählich von ihr verstanden wird und es sie interessiert, was eigentlich "alt" bei Menschen bedeutet, wer älter, wer jünger ist. Dabei kommen "lang" und "alt" bisweilen eindeutig positive Wertsetzungen bei, analog zu "groß" (Kinder, Autos, Häuser, Kuchen) und "schnell" (Läufer, Tiere, Autos).

Auffallend ist, dass die Differenzierungen in den zeitlichen Vorstellungen weitgehend parallel laufen mit den Differenzierungen in den räumlich-geografischen Vorstellungen. Das Kind beginnt nun auch, sich für den Globus und Kartenwerke über den eher flüchtigen Blick hinaus zu interessieren und formuliert Sätze wie "Man sagt, die Erde sei eigentlich ganz klein!". Gemeint ist hier im Bezug zum Kosmos, der ihm allerdings konzeptionell noch fremd ist. Darauf verweist auch die Satzeinleitung "man sagt".

Die Vorstellungen vom Zeitbewußtsein bei Kindern werden nach wie vor dominiert durch die Arbeit von Heinrich Roth, "Kind und Geschichte", erste Auflage 1955. Roth setzt für das Kleinkind ein "naives Zeiterleben" an. Die Phase des "Zeitwissens" beginnt für den Autor mit dem Schulalter. Das naive Zeiterleben sei bestimmt durch das konkrete Erleben und Handeln des Kindes - im vorliegenden Beispiel zeigt sich ein Beleg hierfür im Bezug auf das "Schlafen", obgleich sich zugleich schon eine Ablösung hin zur abstrakten Zeiterfassung abzeichnet.
 


Svenja Rehse: Kennst du den, 2018







Beziehungsnetze. Gruppenzugehörigkeit. Geteilte Welt

KENNST DU DEN? (5+)

Sie erzählt mir von einem Jungen aus dem Kindergarten, der jetzt zur Schule gehe und den sie gerade auf der Straße gesehen habe. Dann schaut sie mich betont interessiert an und fragt "Kennst du den?"

Ich erinnere mich an den Jungen und sage das, was sie wohlwollend-freudig, aber auch ein wenig überrascht zur Kenntnis nimmt.

Ich habe mich mit dieser Frage öfter beschäftigt. Sie hatte einen neuen Ton, den ich nicht klar zu deuten verstand. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich zum ersten Mal fragte, was es eigentlich für mich/für Erwachsene bedeutet, wenn sie von ihrem persönlichen Umkreis, ihren Freunden erzählt. Vermutlich hatte sie die Frage in Erwachsenenkommunikation aufgeschnappt und interessant gefunden. Aber offensichtlich hatte sie auch ein Anliegen, das sie damit bearbeiten konnte.

Gerne ist ja die Rede von der Eigenwelt der Kinder, hier wurde etwas spürbar davon und auch von dem Interesse, diese Welt mit der Welt ihrer Erwachsenenkontakte zu vermitteln. Sie stellte mir diese Frage in der Folge dann noch öfter, selbst bezogen auf eine - etwas fernere - Freundin von ihr, mit der wir mal gemeinsam bei einer Kinderchor-Probe und auf dem Spielplatz waren. Auch da war sie erstaunt, dass ich diese Freundin kannte. Wie es scheint, bin ich in einem gewissen Sinne nicht anwesend, wenn sie mit MItgliedern ihrer Kinderwelt agiert. Und nun registriert sie erstaunt, dass ich ja doch anwesend war/bin.
Bislang hat das Kind seine Freundeswelt und die Bekanntschaftswelt der Erwachsenen eher getrennt gesehen. Zwei Blasen, die nebeneinander existieren bzw. nur im engsten Bereich, dem der Familie, sich überschneiden. Nun nimmt sie bewußt zur Kenntnis, dass auch Erwachsene, die nicht täglich mit ihr zu tun haben, zur Kenntnis nehmen, wer zu ihrer Welt gehört, bzw. in dieser Welt auch irgendwie mit anwesend sind.

Eventuell wollte sie auch "richtiges" Kennen erfragen, ob ich etwa mal mit dem gesprochen habe oder gar bei ihm und seinen Eltern zuhause war. Allerdings kam keine Nachfrage in diese Richtung, auch in späteren Fällen nicht. Ich vermute daher, es ging doch eher um den Anteil, den ich an ihrer Welt durch Interesse nehme, also letztlich darum, ob ich wahrnehme, wer ihr wichtig ist. Dazu gehören auch Fragen wie, "Was denkst du, wer meine beste Freundin ist?".
 

Svenja Rehse: Erinnerst du dich noch, 2018








Eintritt in die Geschichte, Gedächtnis, Gemeinschaft

ERINNERST DU DICH NOCH? (5+)

Sie fand in einer Spielzeugkiste einen Mini-Sonnenschirm, der einmal als Eisbecher-Dekoration diente, zeigte mir den und fragte "Erinnerst du dich noch?".

Ja, ich erinnerte mich noch an die Situation, und sie fand es spannend, die Situation gemeinsam zu rekonstruieren.

Wir hatten vor etwa 10 Monaten auf einer kleinen Feier
nach einem Eisbecher-Auslöffeln mit den Deko-Schirmchen gespielt (mal als Regen-, mal als Sonnenschirme). Der Satz klang etwas fremd aus ihrem Mund und war vermutlich ein Großmutter-Zitat. Aber sie hatte sich den Satz doch spürbar schon zu eigen gemacht. Und sie stellte damit explizit eine Verbindung "auf Augenhöhe" mit Erwachsenen her, die einander und Kinder öfter mal fragen "erinnerst du dich noch?".

Die Botschaft hieß auch: Schau, ich erinnere mich, ich habe eine Geschichte, eine gemeinsame Geschichte mit euch Erwachsenen. Und ich kann dir nun eine Frage stellen, die sonst nur Erwachsene stellen. Ihr Vermögen, eigene Geschichte zu erinnern, entwickelte sich in der Folgezeit dann rapide, jedoch sehr selektiv. Ich wunderte mich immer wieder, was sie erinnerte - und was nicht! In der Regel waren die Erinnerungen an Orte und Dinge gebunden, oft spielte Essen (Eis, Süßigkeiten, Kuchen) oder Tiere (Wespen, Enten) eine Rolle. An eigene Aussagen erinnerte sie sich dagegen kaum, an ihr Verhalten bisweilen.

Eineinhalb Jahre später kam dann, mit Sieben, öfter die Frage "weißt du noch ...?". Immer noch mit einer gewissen Überraschung dabei, einer verwunderten Begeisterung darüber, dass ihr etwas plötzlich erkennbar präsent war aus der Vergangenheit, dass sie sich an etwas erinnern konnte. Und ähnlich wie bei Erwachsenen verbunden mit der Stiftung von Gemeinsamkeit.

Das Entdecken der eigenen Geschichtlichkeit über das Erinnern und das Verständnis geschichtlicher Entwicklungslinien zunächst an der eigenen Familie (Oma-Mama-Ich, "Wie haben Oma und Opa sich kennengelernt" etc.) markieren den Eintritt in die Phase des "Zeitwissens", die für den Pädagogen Heinrich Roth (1906-1983) in "Kind und Geschichte" erst mit der Schulzeit beginnt (Roth 1955, S. 51). "Erinnerungen im menschlichen Sinne haben zu können, ist die Voraussetzung für Zeiterleben, und das menschliche Zeiterleben ist Voraussetzung für geschichtliches Erleben". (Roth 1955, S. 43)

Allerdings setzt Roth korrekte genealogische Zuordnungen erst mit dem Alter 8-10 an (Roth 1955, S. 55), die Erfahrung der eigenen Geschichtlichkeit erst mit der Pubertät (ebd. S. 59). Offensichtlich sind Kinder heute diesbezüglich früher entwickelt, durch offenere Erklärungen von Seiten der Erwachsenen, ein Mehr an "Ernstgenommenwerden" und auch durch die Medien, die ihnen z.B. sehr früh Bilder von sich selbst als Baby, Smartphone-Filme von sich selbst etc. vorstellen.


Svenja Rehse: Was ist ein Ding

          







Abstrakte Oberbegriffe

WAS IST EIN DING? (6-)

Wir spielten Scharaden und ich wollte einen Tisch darstellen. Ich erklärte, dass ich jetzt ein Ding zeige. Da kam die Frage "Was ist ein Ding?"

Ich erklärte, dass ein Ding alles sei, was man anfassen könne, aber nicht Pflanze oder Tier oder Mensch.

Es wurde schnell klar, dass sie mit meiner Erklärung nicht viel anfangen konnte. Es schien ihr etwas unheimlich zu sein, dass ein Wort so viel bedeuten könne. Auch fand sie keinen Spaß daran, "Dinge" pantomimisch vorzuspielen und zu erraten. Sie wollte Handlungen und Lebewesen darstellen oder dargestellt sehen, forderte entschieden nach den ersten beiden Dingen von mir: "keine Dinge mehr".

Das hat einen naheliegenden Grund darin, dass Pantomimen/Scharaden selbst Handlungen sind. Aber auch darin, dass ihr gerade soziale Beziehungen viel wichtiger sind als Dinge, und unter den Dingen vor allem die, in denen soziale Beziehungen sich manifestieren: Autos, Handys, Schulranzen. Und alles, was man Sammeln kann. Vor allem Sammelbilder. Ihre ersten Wörter als Kleinkind waren Handlungswörter; Dingwörter wie "Ball" hat sie zunächst zögerlich benutzt. Zwischen 2 und 4 waren Dingwörter und Dingordnungen wichtig, dann traten wieder Beziehungen und Handlungen in den Vordergrund.

Mit der Eroberung der Schrift wurden dann "Dinge" erneut wichtiger. Nämlich nun über die "Namen" für Dinge, die sich schreiben ließen - womit die Dinge lebendig wurden, auf eine Ebene mit ihr selbst gerieten, war doch das erste Schreibwort der eigene Namen. Mit dem Schreiben werden selbst geheimnisvolle Dinge wie "Kommtjuter" emotional verfügbar, beherrschbar. Im sozialen Umfeld spielten nun Dinge eine wichtige Rolle zur Distinktion und für die Zugehörigkeit. Dinge konnten nun auch die eigene Entwicklung dokumentieren: "Erst bekomm ich ein Handy, dann ein Smartphone, dann einen Computer!"

          

Svenja
                  Rehse - Ist es echt, wenn wir leben?









Philosophische Fragestellungen

IST ES ECHT, WENN WIR LEBEN? (6-)

Wir saßen am Küchentisch beim Abendbrot und unterhielten uns über Lebensmittel und Tiere. Da kam diese Frage, ganz unvermittelt.

Ihre Frage zielte auf den Unterschied zum Traum, sie meinte, dass sie manchmal "ganz echt" träume. Es war Sandmännchen-Zeit und ich fragte zurück, ob sie das Sandmännchen nun in Echt sehen wolle oder ob es ihr genüge, die Augen zuzumachen und nur davon zu träumen. Sie lachte, "in Echt!".

Das Gespräch danach (es war noch etwas Zeit bis zum Sandmännchen) zeigte, dass sie ein eigenes Anliegen hatte, es nicht nur eine aufgeschnappte Frage war. Wir unterhielten uns über Unterschiede zwischen Träumen und Realität, Aufwachen, Sich-Zwicken, Miteinander reden als Erfahrungen von Realität. Da gerade ein Marienkäfer-Bild von ihr auf dem Tisch lag, fragte ich sie nach dem Unterschied zwischen gemalten und "echten" Marienkäfern. "Die echten können fliegen!"

Als ich ihr sagte, dass die Frage, ob wir wirklich leben oder das Leben nur träumen, eine wichtige für die Menschheit sei und sich viele kluge Leute diese Frage schon seit 2500 Jahren stellen, reagierte sie erstaunt-stolz: "Ehrlich?!"

Ihre Eltern erzählten mir später, dass sie die Frage schon einmal kurz davor gestellt hatte, und zwar beim Frühstück. Der Bezug zu eigenem Traumerleben ist offensichtlich.

Ein dreiviertel Jahr später sprach ich sie auf diese Frage an und sie sagte ganz lebhaft: "Ich erinnere mich genau! Ich hatte so ein komisches Gefühl, wie wenn ich unsichtbar wäre!" Dieses Bekenntnis zeigt auch sehr deutlich die Grenzen des heute oft propagierten "Philosophierens mit Kindern". Für Kinder bis zum Beginn der Pubertät steht die - äußerst heterogene - Erfahrungswelt im Vordergrund, hier der problematische Bezug zur konkreten Traumerfahrung und zur konkreten Selbstwahrnehmung.

Begriffliche Arbeit oder ein Bezug zu Denktraditionen liegen ihnen noch fern. Und doch sind schon Kinder im Schuleintrittsalter bereit für Vorstufen hierzu, für die Klärung von Wörtern ("was meinst du, wenn du sagst 'echt'", "was ist 'echt'"), für die Geschichte von Zhuang Zi (Schmetterlingstraum) oder ein Bildnis von Platon ("der hat das Höhlengleichnis erfunden" - Klaras Reaktion auf die Platon-Büste: "So haben die Leute früher ausgesehen?").

Kurz nach ihrem achten Geburtstag erzählte sie mir, ihre Freundin Mona habe sie gefragt, ob sie (Mona) wirklich lebe. Darauf habe Klara ihr geantwortet: "Klar, ich kann dich doch sehen!"



Svenja Rehse: Warum ist die Banane krumm, 2018








"Klassische" Warumfragen. Scherzfragen. Sprachliche Wirklichkeit

WARUM IST DIE BANANE KRUMM? (6)

Klara stellte diese Frage nie ernsthaft, präsentierte sie mir allerdings einmal mit sechs Jahren, als sie eine Banane aß, als Zitat eines in verschiedenen Varianten existierenden Kinderspruchs, im Schulhof gelernt, der die Antwort gleich mitliefert: "Warum ist die Banane krumm? Weil niemand in den Urlaub zieht und die Banane grade biegt!"

Ich habe diese Frage als ernsthaftes Anliegen noch nie von einem Kind gehört. Sie wurde erstmals öffentlichkeitswirksam auf einer 1971 erschienenen gleichnamigen Schallplatte für Kinder aus dem Wagenbach-Verlag gestellt. Die Antwort dort lautet: "Ja, wenn die Banane grade wär, dann wär es keine Banane mehr." Frage- und Antworttext stammen von Peter Rühmkorf, einem vielfach ausgezeichneten Schriftsteller.
Auch gängige Elternratgeber zu Kinderfragen widmen sich gerne der krummen Banane. Erklärt wird in der Regel mit dem hängenden Fruchtstand, an dem die Früchte nach oben, zum Licht wachsen möchten. Die nächste Frage des Kindes könnte lauten: "Und warum wachsen die Pfirsiche (Birnen, Äpfel ...) nicht nach oben?". Dann wäre zu verweisen auf das Büschelwachstum und die längliche Form bei Bananen.

Die beste Antwort auf die Bananenfrage, sollte sie denn kommen, scheint mir: Mit dem Kind das Bild einer Bananenstaude anschauen, in Farbe, um auch über reife und unreife Bananen sprechen zu können und über den langen Weg der unreif geernteten Bananen zu uns. Youtube bietet auch schöne Videos zum Thema.
Als ich selbst einmal Klara mit Fünf beim Bananenessen fragte, "warum ist die Banane krumm", kam die Antwort "Weil, das reimt sich doch!" Dazu grinste sie verwegen. Dann bekannte sie sachlich, aber wenig interessiert: "Weiß nicht". Sie konnte also sehr genau unterscheiden zwischen Faktenwissen und einer amüsanten Idee, der Realität und einer sprachlichen Reim-Konstruktion. Ein Jahr später bekam ich von ihr beim Bananenessen dann den Satz zu hören: "Warum ist die Banane krumm? Weil niemand in den Urlaub zieht und die Banane grade biegt!"

Reime spielten für sie ab dem Ende des vierten Lebensjahres eine große Rolle. Vor allem wollte sie selbst gerne reimen, nicht so sehr die Reimvorschläge von Erwachsenen anhören. Sie mochte es allerdings nicht, am Abend gereimte Geschichten vorgelesen zu bekommen. Reime hatten für sie oft auch etwas Beunruhigendes. Das lässt an die magischen Funktionen des Reimes denken, dem im Volksglauben wirklichkeitsgestaltende Kraft zugesprochen wird. Auch das "Zauberwort" der Romantik (Eichendorff: "Und die Welt hebt an zu singen, Triffst du nur das Zauberwort") ist eng an den Reim gebunden. Eine andere Begründung gab sie selbst einmal: "Das ist doch keine richtige Geschichte!" Gereimtes wirkte auf sie also wenig glaubwürdig! Ein erster Ansatz zur Quellenkritik (allzu Glattes schafft Misstrauen)! Und eine herbe Absage an die Balladen-Literatur.

Mit sechs Jahren spielt sie dann, geschult an Kindersprüchen, souverän mit der Kraft des Reimes, Wirklichkeiten scheinhaft zu beglaubigen. Geistige Entwicklung und die Anregungen der anderen Schulkinder eröffnen gemeinsam den Fundus der kindlichen Scherzfragen, Scherzgedichte und Scherzlieder.

Svenja Rehse: Seit wann kennst du mich
                  schon









Eigene Geschichtlichkeit



SEIT WANN KENNST DU MICH SCHON? (6+)

Diese Frage stellte mir Klara, als sie bereits zur Schule ging. Und zwar beim Anschauen von Filmclips, die ich von ihr aufgenommen hatte, als sie kleiner war, beim Traubenessen, Joghurtessen, Schneemannbauen und Treppensteigen (singend).

Es fasziniert sie offenkundig, dass ich sie schon seit ihrer Geburt kenne, dass ich sie in einer Zeit kannte, an die sie sich selbst nicht erinnert. Ihre eigene Erinnerung geht nur zurück bis knapp ins vierte Lebensjahr.


Fotos aus ihrer eigenen Vergangenheit interessieren sie weit weniger als Filmclips. Denn sie will nicht wissen, wie sie ausgesehen habe, sondern vielmehr, wie sie sich verhalten habe! Verständlich daher, dass sie sich vor allem für die Zeit interessiert, an die sie sich nicht erinnern kann. Dabei betrachtet sie sich offenkundig "von außen", findet sich selbst "süß" - ein Urteil, das sie in dieser Zeit selbst strikt abgelehnt hat ("ich bin nicht süß, süß ist Zucker!" - mit Drei).

Oft ist sie irritiert, wenn ich ihr etwas "von früher" erzähle, erinnert sich z.B. nicht an ihre alten "Lieblingsfarben", ist ganz erstaunt, dass sie sauer als Geschmacksnote schon früh mochte, "ehrlich?". Sie setzt ihren Zustand jetzt als "Klara", ist irritiert, dass dieses ganz andere Wesen in den Filmen schon Eigenschaften mit ihr gemeinsam hatte.

Sie fragt hier nicht "Wie lange ...", sondern "Seit wann kennst du mich schon". Ihre Vorstellung historischer Zeit hat nun klare Markierungspunkte. Die Irritation, dass die Oma die Mama der Mama sei, liegt lange zurück. Sie begreift, mit Erstaunen noch, aber auch fasziniert, ihre eigene Geschichtlichkeit, ihre eigene Position auf den verschiedenen Zeitlinien ihrer Wirklichkeit.

Was hier sich artikuliert, ist das Bewußtsein, dass sie über sich nicht nur durch Introspektion, sondern auch durch Erfahrung und Auskunft anderer ein Bild gewinnen kann. Allerdings ist dieses Bild nur im Ansatz integriert. Sie betrachtet sich selbst als Zweijährige noch wie eine Fremde. Mit neun Jahren kommt ein neues starkes Interesse an diesen Clips. Sie will diese nun ihren Freundinnen zeigen: So war ich mal. Mit einem gewissen Stolz auch, der an Elternstolz erinnert.


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Nachwort


Fragende Kinder wollen nicht nur etwas über den Gegenstand erfahren, nach dem sie fragen, sie wollen auch lernen, wie "Fragen" funktioniert und was zum Beispiel genau dieses seltsame "Warum" oder andere Fragewörter bedeuten. Und sie fragen nicht nur nach Dingen, sondern auch nach Beziehungen, Beziehungen zwischen den Dingen, zwischen den Menschen und zwischen den Dingen und den Menschen.

Bisweilen will das Kind auch nur eine emotionale Unterstützung. Es fragt vordergründig nach den Details eines Autounfalls, will aber erfahren, dass Verletzte gut versorgt werden und der Papa/die Mama/die Vertrauensperson noch nie einen schlimmen Unfall hatte. Und schließlich wollen Kinder mit Fragen manchmal einfach nur die Aufmerksamkeit der Erwachsenen gewinnen, wollen Zuwendung - auch mit Fragen, die nerven können, wenn sie nur aus Erwachsenensicht betrachtet werden.

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